von Pretulia
Kennengelernt haben wir dich als Tante Lini. Du bist die Halbschwester unseres Vaters. Ab ca 10 Jahren durften meine Schwester und ich die Ferien bei dir und deiner Familie verbringen. Mit deiner Tochter und deinem Sohn. Von den Problemen mit deinem Ehemann bekamen wir nichts mit. Für uns war es eine wunderbare Zeit. Eine Welt die wir nicht kannten. Linz die City. Die Fahrt auf den Pöstlingberg, Eis beim Eiskönig (erstes Malaga Eis – noch immer den Geschmack von damals auf der Zunge) schwimmen im Pichlingersee, zum ersten Mal in einem Einkaufstempel. Meine kleine Schwester hat mit ihrer Kusine bei einem Schwimmlehrer schwimmen gelernt. Zum Frühstück brachtest du vom Einkaufen heiße dampfende Leberkässemmeln mit, dazu gab’s eiskalte Milch gleich aus dem Kühlschrank. Ein Schlaraffenland! Jeden Tag habe ich in der Auslage eines Geschäftes Glasketten bewundert. Die Sonne ließ sie in allen Farben leuchten. Es gab für mich nichts Schöneres auf der Welt. Unerreichbar, ich kam gar nicht auf die Idee darum zu bitten. Die waren nur für die ganz reichen Leute.
Von dir bekam ich die erste Barbie und dann durfte ich auch noch Kleider für sie aussuchen. Du schenktest uns Goldarmreifen, ein Bettelarmband und Anhänger dazu.
Dann wolltest du Tante Karin genannt werden. Dein Mann entwickelte sich zum schrecklichen Ehemann. Scheidung, Drama. Aber du warst eine starke Frau. Du hast dich nicht unterkriegen lassen.
Jahrelang hast du dich dann um deine Mutter gekümmert. Sie war seit der Kindheit taub und hat bei dir bis zu ihrem Tod gewohnt. Unsere Linzer Oma. Zu einem runden Geburtstag unserer Oma hast du uns gebeten zu einer kleinen Feier nach Linz zu kommen. Warum wir nicht kamen? Heute sage ich, dafür gibt es keine Entschuldigung. Damals waren die Ausreden : zu weit, Kinder noch zu klein. Ist ja eh nicht so wichtig. Können eh ohne uns feiern. Du hast es uns übel genommen und den Kontakt abgebrochen.
Heute bist du Tante Karoline. Viele Jahre sind vergangen. Du hast dein Leben weitergelebt. Mit allen Hochs und Tiefs die das Leben so bereithält.
Zu deinem 80 er habe ich dir eine Glückwunschkarte geschickt. Schon mit Hintergedanken. Ich wollte die Absolution. Du hast mich angerufen und wir trafen uns gemeinsam mit meinen Schwestern und meiner Mutter. Es war für mich ein schönes Beisammensein. Obwohl du ziemlich schnell auf den Punkt gekommen bist und erzählt hast, wie du damals bis zuletzt gehofft hast, dass wir kommen. Leider kann man es nicht mehr ungeschehen machen. Es ist viel zuviel Zeit vergangen. Es ist zu spät merke ich. Es gibt Wunden die nicht geschlossen werden können. Vielleicht hätten andere nicht so reagiert, hätten verziehen. Du kannst es nicht. Ich bin sehr traurig darüber, aber ich muss es akzeptieren. Der Weg zu deinem Herzen ist durch eine tiefe Schlucht verbaut und nicht mehr erreichbar. Es bleiben für mich die wunderbaren Erinnerungen, die ich als Kind bei dir erleben durfte .
© Pretulia 2020-07-22