von Eva Filice
Lissabon ist eine Stadt, deren Menschen wiederholt Schicksalsschläge erleiden mussten, und die mehrmals wie ein Phönix aus der Asche auferstanden ist. Am 1. November 1755 erlebte Lissabon am Vormittag ein Erdbeben der Stärke 8,5. Nur wenige Minuten währte diese unerwartete Naturkatastrophe, die die Menschen aus ihren Häusern fliehen ließ. In Panik strömten sie zum nahen Fluss, der ihre Rettung zu sein schien. Doch eine ungeahnte Flutwelle von 20 Meter bewegte sich auf die Kais zu, begrub die Menschen und die bereits verwüsteten Häuser unter den Wassermassen. Die Anzahl der Toten betrug mehrere Zigtausende. Das Erdbeben und der Tsunami zerstörten den Großteil Lissabons. Der Stadtteil Baixa war am stärksten betroffen. Als gäbe es keine Steigerung des Schreckens brachen Brände aus, die fünf Tage lang anhielten. Einzig Alfama, der ärmliche Stadtteil Lissabons, von Fischern und Prostituierten bewohnt, erlitt keine Schäden durch das Erdbeben. Noch heute ist dort das enge Straßengewirr aus der Zeit der Mauren erkennbar. Auch der berühmte königliche Palast und wertvolle Bibliotheken mit unwiederbringlichen Kunstwerken fielen dem Erdbeben und den Bränden zum Opfer. Die meisten Kirchen Lissabons wurden zerstört und somit auch zum Grab von vielen Gläubigen. Als Mahnmal an diesen schrecklichen Tag dienen die Überreste des Convento do Carmo.
Heute erinnert im lebhaften Ausgehviertel Baixa, dessen dekorative Pflasterung auf den geraden Straßen auffällt, nichts mehr an diese schlimme Zeit, die gleichzeitig eine Erneuerung zur Folge hatte. Sebastião José de Carvalho e Mole, ein Adeliger, war zurzeit König Joseph I. von Portugal Außenminister. Es gelang ihm, den Wiederaufbau der fast völlig zerstörten Stadt erfolgreich zu organisieren. Seine steile politische Karriere ermöglichte ihm wichtige Positionen zu erlangen. Als Marquês de Pombal war er für die Erneuerung der Stadt verantwortlich. Im Stadtmuseum von Lissabon erfuhr ich von seinem pragmatischen Ausspruch „Und nun? Beerdigt die Toten und ernährt die Lebenden“. Brände mussten gelöscht, die Leichen aus der Stadt gebracht und im Meer bestattet werden, um Epidemien zu verhindern. Die unverletzten Bewohner halfen bei den Aufräumarbeiten mit. Architekten und Ingenieure begannen ein Jahr nach dem Erdbeben mit dem Wiederaufbau, der der Stadt ein neues Aussehen mit breiten, geraden Straßen und großzügig gestalteten Plätzen verlieh. Die Praça do Comércio öffnet sich seither in Richtung des Flusses Tejo – symbolisch wie ein Tor zur Welt. Ein Straßenraster kennzeichnet die Neustrukturierung der Stadtteile Baixa, Chiado und Rossio. Am Ende der schnurgeraden mehr als 1 km langen Avenida da Liberdade thront auf einem hohen Sockel Marquês de Pombal, der auch wirtschaftliche und soziale Reformen durchführte und trotzdem nicht unumstritten bleibt. Eine weitere Tragödie erlitt Lissabon am 25. August 1988. Eine Feuerkatastrophe zerstörte einen Großteil des Stadtviertels Chiado. Die Flammen erstreckten sich über mehrere Straßenzüge des Viertels. Viele Gebäude, nach dem Erdbeben neu errichtet, brannten bis auf die Grundmauern nieder. Der Wiederaufbau wurde 20 Jahre nach dem Brand abgeschlossen. Die alten Fassaden wurden renoviert, die zerstörten Gebäude rekonstruiert. Beim Bummeln durch das Viertel war von dieser schweren Zeit nichts erkennbar.
© Eva Filice 2023-08-06