von KerstinS
Ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen. Wenn ich doch einen Blick erhasche, wende ich mich kopfschüttelnd, augenrollend, ja durchaus verächtlich ab.
Ich hab nicht damit gerechnet, ich hab nicht erwartet, dass ausgerechnet mir sowas passieren könnte. In meinem Alter. Mit meiner Erfahrung. Am letzten Urlaubstag.
Ich habs nicht kommen sehen, war total unbeschwert, hab mir nichts dabei gedacht. Hab den Tag in vollen Zügen genossen und noch mal alles in mich aufgesogen. Mich treiben lassen, mit geschlossenen Augen.
Es hat mich auch keiner gewarnt. Nicht mal mein Mann, selber quasi gebranntes Kind. Hat irgendwie eher teilnahmslos zugesehen. Hätte er es kommen sehen müssen?
Ich weiß es auch nicht. Jedenfalls muss ich die Konsequenzen nun tragen. Es war wunderschön, es war heiß, es war sowas wie ein Urlaubsflirt, bewusst intensiv spüren, weil ja eben letzter Tag und so. Wiedersehen war zwar natürlich geplant, aber zuhause ist das doch was anderes. Dieses Setting, Berg, See, Urlaub, das würde es eben so schnell nicht mehr geben.
Gemerkt habe ich es erst spät, zu spät. Da wusste ich: ich kann nichts mehr retten, nichts mehr wieder gut machen. Ein bisschen lindern vielleicht, ein bisschen heilen. Aber Berührungen schmerzen, ich brenne nicht nur innerlich, nein auch äußerlich.
Mit Tränen in den Augen stelle ich mich doch meinem Spiegelbild. Es hilft nichts, ich muss es nicht nur erkennen, ich muss es akzeptieren: ich habe mein Gesicht verloren.
Überall hängen kleine Hautfetzerl weg. Selbst die Augen sind rot. Ein Sonnenbrand, wie ich ihn wohl noch nie hatte und eigentlich auch nicht haben wollte….
Foto: David Law, unsplash
© KerstinS 2020-07-15