Love Me Tinder

Thomas Vitzthum

von Thomas Vitzthum

Story
1988 – 0022

Mein lieber Freund Gruber hat sich, um seiner drohenden Vereinsamung zu entrinnen, auf einer Dating Plattform registriert. Bei einem netten GesprĂ€ch unter MĂ€nnern hat er mir von seinen Erfahrungen damit berichtet. Manchmal sei man sich auf Anhieb sympathisch, ein ZĂ€hnchen greife in das andere und der Abend verlaufe wie geplant. Aber es gebe auch Situationen, wo die Chemie nicht so stimme, man sich nach wenigen GesprĂ€chsminuten wieder verabschiede. Einmal, so Gruber, wĂ€hnte er sich in einem falschen Film und suchte beilĂ€ufig nach der versteckten Kamera. Sein Date hatte offenbar nach der Veröffentlichung ihres Fotos einen völlig anderen Lebensweg eingeschlagen und ihm gegenĂŒber saß nicht mehr Kathrin, sondern La Candela. Sie hielt sich an einer ĂŒberdimensionierten Teetasse fest, in der man relativ leicht ein normal entwickeltes Lama hĂ€tte waschen können. Die strenge Business-Frisur hat sich in die GarçonniĂšre eines Andenkondors verwandelt und der erwartete Hosenanzug ist einer peruanischen Alltagstracht gewichen. Prinzipiell ernĂ€hre sie sich von Licht, aber sie dĂŒrfe auch Ausnahmen machen. Sie empfehle ihm den vorzĂŒglichen Chai Latte, wobei sie das zweite Wort des HeißgetrĂ€nks ĂŒber GebĂŒhr betont. Gruber bestellt also Tee, La Candela ordert fĂŒr sich ein Glas Prosecco. Auf seine Nachfrage hin erklĂ€rt sie ihm, dass die Metamorphose noch nicht zu 100% abgeschlossen sei und sie nach einem Glas so geil werde, dass sie alles rund um sich vergesse. Gruber schluckt seinen Latte und die Bemerkung ĂŒber die Schattenseiten des Home-Office runter. Letztlich hĂ€tten sie sich jedoch sehr gut unterhalten.
Ich erklĂ€re Gruber, dass ich mir das nicht vorstellen könne, der Weg zum Ziel fĂŒr mich wichtig wĂ€re. Wenngleich auch nicht immer erfolgreich.

In Zeiten der Festnetztelefonie, ich werde wohl um die 17 gewesen sein, habe ich in einem Lokal ein MĂ€dchen kennengelernt und mich in der Sekunde verliebt. Nach wenigen SĂ€tzen hat sie mir tatsĂ€chlich ihre Nummer gegeben und am nĂ€chsten Tag habe ich mit zitternden HĂ€nden die WĂ€hlscheibe bedient. Nach dem dritten Ton hebt jemand den Hörer ab und plĂ€rrt „Schwaiger“ in mein Ohr. Etwas verunsichert frage ich nach Barbara, the Voice kreischt „Babsi, fia di!“ durch das Haus und wahrscheinlich weite Teile Ebensees. Sekunden, die sich wie Stunden anfĂŒhlen, spĂ€ter vernehme ich ein „Hallo?“ und stelle mich artig vor. „Thomas, von gestern, Podium.”, bessere ich nach und höre erleichtert den Groschen fallen.

Wir verabreden uns, ich warte aufgeregt am Mirabellplatz auf ihren Bus, er fĂ€hrt ein, aber keiner steigt aus. Telefonzelle. Telefonat mit der Mutter, Babsi hĂ€tte den Bus verpasst, sie sĂ€ĂŸe im nĂ€chsten. Mit stoischer Ruhe sitze ich bei acht Grad und einseitigem Tinnitus Anfang April auf einer Bank und harre der Dinge. Der Bus kommt, sie steigt aus und schenkt mir ein LĂ€cheln.

Nach dem dritten Date erklĂ€rt sie mir, dass sie nichts fĂŒr mich empfinde. Der Tinnitus lĂ€sst nach, das Nieseln wird stĂ€rker.

© Thomas Vitzthum 2022-02-26

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