Lumpensammler und Eisentandler

Lorenz Graf

von Lorenz Graf

Story

Viele Bilder, die in meiner Kindheit kurz nach dem Krieg allgegenwärtig waren, sind verschwunden. Das waren die vielen Pferdefuhrwerke, Scharen von lauten Vögeln, quakende Frösche und finstere Nächte.

Auf Schritt und Tritt begegnete man Männern, die nur einen mehr Fuß oder einen Arm hatten oder sie trugen Augenbinden. Viele humpelten auf Krücken aus Holz herum und freuten sich dennoch am Leben. Das waren die grausamen Andenken an den Zweiten Weltkrieg.

Was es kaum gab, waren rasende Autos, Streifen und Lärm von Flugzeugen am Himmel, allgegenwärtige, Finsternis zerreißende Lichter rund um die Uhr und vor allem gab es keine Abfälle.

Alles Essbare verzehrten die Schweinderln, Hunde und Hühner oder eine Reihe anderer Tiere und Tierchen. Papier diente zum Anzünden des Holzes im Ofen. Große Mengen Zeitungs- und Zeitschriften-Müll fehlten, ebenso alles Plastik. Gegenstände aus Holz, Stroh oder Schilfrohr wurden energetisch verwertet. Glasgefäße und Glasflaschen waren kostbar und wurden für alles Mögliche wieder eingesetzt. Nicht mehr reparierbare Kleidung holte der Lumpensammler, der sie an die Papierhersteller weiterverkaufte. Alle unbrauchbar gewordenen Metallgeräte und Gegenstände sammelte der „Eisentandler“ ein.

Diese „Eisentandler“ waren für uns Kinder interessant, sie wurden unsere Geschäftspartner. An Wochenenden und im Sommer, wenn schulfrei war, durchwanderten wir, meist zu zweit, die unzähligen Feldwege. Dieses Feldwegnetz war viele Kilometer lang. Oft waren wir den ganzen Tag unterwegs. Wir suchten und sammelten die Hufeisen, die von Pferden verloren worden waren. An guten Tagen waren das schon zwischen 10 und 20 Stück.

Diese „Schätze“ horteten wir bis der Eisentandler kam. Mit Unterstützung eines älteren Verwandten, meist war es ein erwachsener Cousin, boten wir die Hufeisen an und verkauften sie, wobei die Kurse oft beträchtlich schwanken konnten. Der Preis wurde auch oft vom Verhandlungsgeschick bestimmt.

Mit dem Geld kauften wir Süßigkeiten. Am häufigsten war das ein Eislutscher und 4 „Stollwerk“, weiche Karamelzuckerl, jedes extra in Papier verpackt. Das kostete 1 Schilling. Das war damals eine große Aluminiummünze.

Erspartes wurde dann am Kirtag für Kracherl und Fahrten mit dem Ringelspiel ausgegeben.

Erst heute wird mir wirklich bewusst, wie allgegenwärtig und perfekt damals Recycling funktionierte. Und wir Kinder waren ganz selbstverständlich Teil dieses Systems. Wir waren aber nicht gezwungen, das zu tun, das war unser ureigener Wunsch, aber auch eine der wenigen Möglichkeiten selber zu etwas Geld zu kommen. Geld gab es ja nur, wenn man einmal im Jahr der Oma oder einer Tante zum Namenstag gratulierte.

Wie aber geht es heute den Kindern in Afrika und Asien, wenn sie in den giftigen Müllbergen herum kriechen müssen?

Wir hatten ja mehrere Chancen, aber haben diese Kinder nur diese eine Zukunft?

© Lorenz Graf 2020-09-28

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