Wer mich ein wenig näher kennt (oder meinen geistig-eloquenten Wortschwällen hier schon länger folgt), der weiß: Ich hab‘ eine italienische Seele.
Also irgendwie bin ich mit der schon auf die Welt gekommen, es hat halt nur so zirka dreißig Jahre gedauert, bis ich’s auch verstanden hab‘ und die Seele dann quasi Schritt für Schritt rückgeführt habe an ihren Ursprungsort. Ja, und ebendieser Prozess dauert halt nach wie vor an. Also die schrittweise Rückführung der Seele.
Weil ihr müsst’s euch das so vorstellen: Wenn man im Weinviertel aufgewachsen ist, das Marchfeld in der Muttermilch aufgesogen hat und halt durch und durch eingelullt ist von der dicht benachbarten Wiener Lebensart, dann ist es zwar schön und gut, wenn die Seele Italienisch redet, aber es spreizt sich halt schon das langjährig geprägte Empfinden mit dem Dolce-Vita-Vor-Ort-Lebensgefühl. Wisst’s ihr, was ich mein?
Selbst wennst noch so eine italienische Seele hast – es ist halt schwierig, eine dreißig Jahre alte Prägung auszuschalten. Auch wennst dich wirklich wirklich bemühst.
Und ich bemüh‘ mich. Wirklich!
Zum Beispiel beim Kaffeetrinken: Ich will da wirklich meine Seele überführen. Aber ich merk halt auch: Die braucht einfach noch Zeit. Sanfte Überleitungsphase quasi. Schleichender Prozess. Weil man kann halt die Seele auch einfach nicht hetzen.
So bestelle ich quasi oben am Aussichtspunkt, mit Blick über Stadt und Meer, einen kleinen Espresso, aber bitte mit einem Schuss heißen Wasser drauf. Naja, mehr hab‘ ich nicht braucht, ich sag’s euch. Blankes Entsetzen in den Augen des Postkartenkaffeebudenbetreibers. “Ma cosa vuoi?!” („Bitte was willst du?!“) “Ähm. Un caffè con un po‘ d’acqua calda.” („Ähm. Bitte einen Kaffee mit ein bissl heißem Wasser.“) Wär‘ halt ein klassischer Verlängerter in Wien. Aber das packen sie hier nicht, in meinem Seelenzuhause. Dementsprechend macht das blanke Entsetzen in den Augen des Kaffeebudenbetreibers nicht die leiseste Anstalt, sich zu verabschieden. Im Gegenteil. Es quillt quasi über. Weil ich hab‘ ja meine Bitte wiederholt, was bedeutet, dass ich sie tatsächlich ernst meine. Er also total in Not. Weil das wiederum widerstrebt jetzt seinem langjährig geprägten Empfinden (welches in seinem Fall schon so zirka 64 Jahre existiert). Völlig verstört schaltet er die Espressomaschine ein. Lässt das minimalistische Lackerl heißen Kaffee herunter. Schaut mich noch einmal an. Startet einen letzten Versuch, mich zur Räson zu bringen: “Ma perdi il gusto!!” („Aber du verlierst den Geschmack!!“) Und scheitert: “Lo so – però sono austriaca.” („Ich weiß – aber ich bin Österreicherin.“)
Ja, man könnte jetzt meinen, diese kurze italienische Anekdote spräche für ein Seelenrückführungstotalversagen meinerseits.
Aber während ich an meinem gestreckten Kaffee nippe, in der Sonne stehe und auf das Meer schaue, weiß ich: “Sono a casa.” („Ich bin zuhause.“) Und zwar mit jedem verlängerten caffè ein bisserl mehr…
© Edith Schachinger 2022-05-26