Macht schön

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Gepflegt und schwarz lackiert sind die Nägel. Sie fallen mir sofort auf. Die Mittelfinger beider Hände zieren Ringe mit klobigen Schmucksteinen. Sie funkeln und glitzern. Die Hände gehören einem jungen Mann. Er sitzt an der Kinokassa. Er ist geschminkt. Lidstrich, Wimperntusche, den Rest verdeckt eine FFP2-Maske. Das ist die Einstimmung auf „Wunderschön“. Ich verlange zwei Kinokarten und ersuche ihn, dafür zu sorgen, dass die Plätze neben mir und meiner Freundin leer bleiben. Ich hasse Geraschel und kann es nicht ausstehen, wenn jemand neben mir ständig in die Popcorntüte greift. Er notiert meinen Wunsch. Selbstverständlich, sagt er. Seit ich den Artikel in Psychologie Heute gelesen habe, bin ich mir sicher, dass ich unter einer milden Form von Misophonie leide.

Eine Viertelstunde später sinken A. und ich in die schwarzen Sitzmöbel der Lounge. Neben und vor uns keine Menschenseele. In der Reihe hinter uns keine geräuschvollen Vorkommnisse.

Der Film ist sehenswert, obwohl er auf Klischees nicht verzichtet. Top-Besetzung, schmissiger Soundtrack. Jede Menge Identifikationsfiguren, Lebensentwürfe. Für Gesprächsthemen danach ist gesorgt. Der Film handelt nicht nur vom Beauty-Wahn der Models, es sind vielmehr die Beziehungsthemen, die mir nahegehen.

An mehreren Stellen schießen mir Tränen in die Augen. Mich rührt immer dasselbe. Wenn Einsamkeit an Menschen nagt, wenn sie leiden, weil sie mit ihren Bedürfnissen und Wünschen kein Gehör finden, wenn man sie für ein Faktotum hält, immer zu Diensten. Unbedankt. Unsichtbar.

Das Thema „Schönheit“ kratzt mich eigentlich wenig. Das Einzige, worauf ich achte, ist mein Gewicht. Die etwas angegrauten Haare und die Falten stören mich nicht. Ich bin ohne viel Schminke durchs Leben gekommen. Bemerkung am Rande: Italienisch trucco hat neben „Schminke“ viele andere Bedeutungen, nämlich „Trick, Schwindel, List, Falle“. Ich will keinem eine Falle stellen, am wenigsten mir selbst.

„Wunderschön“ versetzte mich unweigerlich zurück in die Zeit, als ich Alleinerzieherin war und mehrfach belastet. Ich musste alles unter einen Hut kriegen: Kind, Lehraufträge, Haushalt.

Es war immer ein Gerangel bei der Vergabe der Lehraufträge. Ende der 1980er-Jahre gab es ein thematisch gebundenes Wahlpflichtfach. „Macht und Geschlecht“, so der Titel des Proseminars. Wer übernimmt’s? Die männlichen Kollegen überließen es mir. Gerne. Ich sei in die Thematik eingelesen, hieß es. Aber der wahre Grund war sicher ein anderer. Ich habe mich beruflich meist an Männern gerieben und bin gut gefahren. Einmal aber habe ich aufgrund meines Geschlechts den kürzeren gezogen, damals, als ein L1-Posten an der Uni ausgeschrieben war. Ich bewarb mich. In der Sitzung, in der abgestimmt wurde, saßen vorwiegend Männer. 17 Stunden Lehre in den Händen einer Frau? Das geht nicht, hörte ich. Mir wurde ein Mann vorgezogen. Das schmerzte.

So trat ich in den Schuldienst ein und nahm vorlieb mit der zweiten Wahl.

© Sonja M. Winkler 2022-02-17

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