von Evelyn Weyhe
Drei dunkel gekleidete Männer joggen parallel zu uns durch den Wald. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich plötzlich. Schlechte Energie wabert zu mir hinüber und lässt mich stehen bleiben. Ich warte, bis die Freundesgruppe aufgeholt hat. Wir beratschlagen: Sollen wir umkehren, weitergehen? Die Mehrheit ist für weitergehen. Sind ja nur Jogger, und es ist schließlich der 1. Mai. Außerdem freuen wir uns auf das Picknick am Waldesrand. Ich gebe mich geschlagen.
Wir hatten uns morgens alle bei mir getroffen und vereinbart, dass wir nichts an Wertsachen mitnehmen sollten. Lothar hat Besuch aus Deutschland, der sich keineswegs von Pass und Kamera trennen wollte, auch die Damen nicht von ihrem Schmuck. Er selbst muss unbedingt die Brieftasche mitnehmen, die ist schließlich immer dabei.
Susanne und ich sind die einzigen, die außer Kleidung nichts Wertvolles bei sich haben. Ein Minirucksack mit Gummibärchen für die Kinder und eine Wasserflasche, das ist mein Gepäck.
Lothars Hunde, zwei junge Ridgebacks, toben ausgelassen durchs Unterholz. Nach dem Regen in den vergangenen Wochen ist dies der erste strahlende, warme Tag. Die Sonne zaubert Blattmuster.
Der Kibera Forest liegt südwestlich von Nairobi und bildet die Grenze zu dem afrikaweit größten Slum, in dem heute geschätzt 1 Mio Menschen leben. Man merkt hier nichts davon, genießt die Ruhe, hört und sieht die vielfältige Vogelwelt, nimmt die frische Waldluft in sich auf.
Ich sehe sie zuerst. Sie kommen langbeinig und locker auf uns zu, ziehen sich im Laufen schwarze Mützen über den Kopf, die nur ihre Augen frei lassen. Macheten sind bedrohlich auf uns gerichtet. Ohne Worte wissen wir, was zu tun ist. Jeder gibt seine Wertsachen ab, einer wirft seine Kamera ins Gebüsch, Lothar versucht zu verhandeln, zerrt an seiner Brieftasche. Dafür wird er mit einem massiven Hieb des Buschmessers auf Arm und Gesicht belohnt. Blut fließt, alle schreien durcheinander, die Hunde ergreifen die Flucht. Ich habe die beiden Kinder an die Hand genommen und hinter meinem Rücken versteckt. Der Rucksack mit den Gummibärchen wechselt den Besitzer. Mein fünfjähriger Sohn will eingreifen, ich ziehe ihn zurück. Sind das echte Räuber?, fragt er sensationslüstern.
Die Männer jagen uns mit erhobenen Macheten aus dem Wald heraus. Susanne nimmt ihr Auto, fährt Lothar ins Krankenhaus und anschließend zur Polizei. Diese kommt dann irgendwann mit einem LKW, weil die Autos kein Benzin haben. Sinnloses Unterfangen, aber wir brauchen einen Bericht für die Versicherung. Ich will ihnen den Tatort zeigen, aber sie winken desinteressiert ab. Die mitgebrachten Spürhunde schnüffeln interessiert am Picknickkorb.
Später kommt Lothar verarztet zurück. Wir suchen seine Hunde, gehen nochmals in den Wald, rufen, pfeifen. Gegen Abend kommt uns einer zitternd entgegen. Der andere bleibt verschwunden. Noch wochenlang fährt Lothar zum Kibera Forest und sucht seinen Hund. Leider umsonst.
© Evelyn Weyhe 2020-11-27