von Jürgen Heimlich
Wie üblich kam ich gegen 8 Uhr ins Büro. Meine Vorgesetzte begrüßte mich und in der nächsten Stunde tat ich, was ich jeden Tag machte. Also Kassaführung, Durchsehen der Bestellungen und vielleicht auch Umsatzstatistik. Doch zu Beginn der offiziellen Öffnungszeit unserer Lehrmittelanstalt winkte mich Frau K. zu sich. Auch meine zweite Kollegin hatte sich dazu gesellt. „Jetzt rufen wir an!“, sagte Frau K. und schmunzelte. Sie wählte offenbar die Nummer eines Kunden. „Major Schloch, guten Tag“, begrüßte sie den Mann und für einige Sekunden schien die große Stille zu herrschen. „April, April“, sagte sie nach einer Weile.
So ging es noch einige Male. Sowohl nahm sie Anrufe unter dem Namen „Major Schloch“ entgegen als auch rief sie Kunden und Lieferanten unter dem Namen an. „Das muss auch mal sein, nicht wahr!“ Ich war damals 17 Jahre alt und es dauerte ein Weilchen, bis mir der Aprilscherz dämmerte. Major Schloch, ja, klar, zwischen den beiden Worten machte sie keine Pause und es hörte sich also wie Majorschloch an. Und ich lachte auf. Frau K. war eine ernsthafte Frau, die seit Jahrzehnten als Büroleiterin der Abteilung fungierte. Sie ließ mir als Lehrling erstaunlich viel Freiraum. So erfüllte ich Aufgaben, die weit über das hinaus gingen, was üblicherweise Lehrlinge tun. Das wurde mir allerdings erst später bewusst. Ich hatte etwa ein Kundengespräch mit dem berühmten Otto König, der mir auch einiges über seine Fernsehsendung erzählte. Und selbst dreifachen Akademikern verkaufte ich dies und das.
Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, ob Frau K. in anderen Jahren ihre Kunden oder Lieferanten in den April schickte. Der Major Schloch aber ist mir in bleibender Erinnerung geblieben. Aprilscherze haben etwas Befreiendes. Sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, den Spaß im Leben nicht zu kurz kommen zu lassen. Der Mensch ist in all seinem Tun oft so eingespannt, dass die Heiterkeit ausgespart bleibt. Und das ist schade. Denn das Leben ist ein Auf und Ab. Es ist kein langer, ruhiger Fluß. Jederzeit besteht die Möglichkeit, dass ein Ereignis das Leben völlig aus der Spur bringt. Dadurch steigt der Streßpegel. Und das wirksamste Mittel gegen Streß ist Humor. Wer das Leben als großes Drama erlebt, wird nie glückliche Momente erfahren.
„Es gibt kaum etwas im menschlichen Dasein, das dem Menschen so sehr und in einem solchen Ausmaß ermöglichte, Distanz zu gewinnen, wie der Humor.“ Das ist ein Zitat von Viktor Frankl. Für ihn war der Humor ein menschliches Phänomen. Wenn der Mensch in Schwierigkeiten steckt, schafft der Humor Distanz. Wer laut auflacht, spürt die heilsame Wirkung. Und wenn ich in diesen Tagen an „Major Schloch“ denke, kommt in mir eine Heiterkeit auf. Ich sehe Frau K. mit dem Telefonhörer in der Hand und mit tiefer Stimme den 1. April zelebrieren. Sie hat damit meiner Kollegin, mir und auch sich selbst den Tag versüßt. Majorschloch. Ein Wort, das mich bis heute mit Frau K. verbindet.
© Jürgen Heimlich 2020-04-01