Weine nicht mehr! Wir sind ja da. Ein Leben lang seid ihr durch dick und dünn gegangen, habt uns zwei Kindern alles ermöglicht, damit aus uns einmal etwas Gescheites wird. Ich kann mich noch so gut erinnern, als wir zusammen nach Jesolo fuhren, obwohl ihr es nicht gerade einfach hattet. Das Meer sehen, den Luna Park, am Abend auf der Terrasse Fische grillen, ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.
Oder die Ausflüge! In unserer Gegend waren wir die ersten, die ein Auto hatten, da leuchteten vier Kinderaugen, als ihr mit uns an den Achensee gefahren seid zum Schwimmen. Ihr habt uns das Schi fahren beigebracht, das Rodeln, Eis laufen, und so vieles mehr! Und ihr habt uns gezeigt, wie man mit wenig Geld glücklich sein kann. Ja! Weil uns das Glück der Gesundheit beschert ist, dieses Geschenk ist nicht zu toppen!
Wir konnten einfach Kind sein und die Unbeschwertheit genießen.
Papa war jetzt so lange krank, und du bist an deine Grenzen gestoßen, – nein, die hast du bereits überschritten mit deinen 38 Kilos Körpergewicht schlepptest du dich Tag für Tag ins Altersheim, damit er nicht alleine ist.
Die Sorgen um ihn malten dunkle Schatten in dein Gesicht.
Mama weine nicht mehr! Ich weiß, es ist schwer, den Mann, den Freund, den Menschen zu verlieren, mit dem du mehr als sechzig Jahre leben durftest. Ihr habt euch das schöne Haus gebaut, weil euer Fleiß es ermöglicht hat, euch diesen großen Traum zu erfüllen.
Wir sind stolz darauf, eure Kinder zu sein. Stolz, euren Namen zu tragen, weil ihr immer da wart, wenn wir euch brauchten.
Weine nicht mehr, Mama! Jetzt liegt es an uns, für dich da zu sein. Papa ist jetzt bestimmt in einer schönen neuen Welt, er würde es nicht wollen, dich so traurig zu sehen.
Komm, machen wir ein neues Kapitel auf, versuche, auch wenn es dir schwerfällt, einmal am Tag zu lächeln, setz dich mit uns in die Sonne, trinken wir Kaffee zusammen, spielen Karten wie früher, lass uns irgendwo hinfahren, an einen schönen Platz, zu deiner Schwester, gehen wir essen, hören James Last aus dem Plattenspieler, sehen wir uns Fotos von früher an, fahren wir auf unsere Berghütte, setzen uns ans Feuer und erzählen wir uns lustige Geschichten, wenn du magst, spiele ich ein paar Lieder auf der Ukulele, es ist einfach wunderbar ruhig hier oben.
Die Vöglein geben ihr Frühlingskonzert, ich montiere die Hängematte zwischen den beiden Fichten auf dem Hang, nimm dir ein schönes Buch oder lass dich vom Wind in süße Träume schaukeln.
Weine nicht mehr, liebe Mama! Ich hab dich lieb!
© Karin Ulrike Heiss 2023-01-31