Mama, was ist eine Nutte?

Brigitte Böck

von Brigitte Böck

Story

Meine Töchter waren 7 und 4 Jahre alt. Ich wohnte nach der Trennung von meinem Mann bei meiner Mutter, die sehr krank war. Ich pflegte sie 8 Monate bis zu Ihrem Tod. Die Tage waren angefüllt mit Arbeit, Pflege und den Kindern, ich sparte auf eine eigene Wohnung, denn ich musste mittellos die Dienstwohnung meines Gatten verlassen. Nie werde ich den Satz von ihm vergessen:

„Nimmst du ein Stück aus der Wohnung, oder forderst du Unterhalt, nehme ich dir die Kinder!“ Damals wurde man noch schuldig geschieden, wenn man den Partner verließ, so hatte ich wegen der Kinder große Angst und begann bei Punkt Null. Ich war 27 Jahre alt und oft am Rande der Erschöpfung, aber endlich frei.

Mein Tagesablauf: Tochter zur Schule bringen, 3 Stunden im Kindergarten arbeiten, wohin ich die Kleine mitnahm, dann schnell nach Hause, kochen, Mutter versorgen. Von 15-18 Uhr putzen in Privathaushalten in der Hauspflege, wo ich meine Kinder mitnehmen konnte. Die alten Menschen freuten sich über diese Abwechslung. Dann nach Hause, Mutter versorgen, Abendbrot machen, ein bisschen Zeit für die Mädchen bis ich sie ins Bett brachte. Mutter war ja da und so ging ich um 20:30 Uhr wieder los, verkaufte am Bahnhof Zoo Currywürste und jobbte anchließend als Platzanweiserin in einem Kino in der Spätvorstellung. Nachts um 1 Uhr zu Hause, noch eine Stunde bei meiner Mutter, endlich schlafen. Oft schlief ich an ihrem Bett bereits ein. Das ging so über Monate.

Eines Abends fragte mich meine Große: “ Mama, was ist eine Nutte? Das Wort haben Kinder heute in der Schule gesagt.“ Zunächst war ich sprachlos, wie erkläre ich das einer 7 Jährigen und entsprechend dumm und hilflos war auch meine Antwort. „Weißt du, das sind Frauen, die ihren Körper verkaufen und dafür Geld bekommen.“ „Wie können sie dann wieder nach Hause kommen, wenn sie sich verkauft haben?“ Ich schluckte…. „Sie werden dafür bezahlt, dass sie sich von Männern überall anfassen lassen und sich dabei ausziehen müssen und dann gehen sie wieder nach Hause.“

Schweigen bei meiner Tochter, angestrengtes Nachdenken… dann ein Strahlen in ihrem Gesicht:

„Mama, ich hab eine Idee, mach das doch, dass ist doch nicht anstrengend. Das kannst du doch abends machen oder in der Nacht, Oma ist ja bei uns. Und dann hättest du am Tag viel mehr Zeit für uns und dann würdest du nicht immer so müde sein. Auch hätten wir viel mehr Geld. Du weißt doch, wie sehr ich mir ein Fahrrad wünsche und Sabine einen Puppenwagen!“

Ich nahm sie in den Arm, streichelte sie und versprach ihr, dass wir es auch so schaffen werden, ich war tief berührt, wie sehr sie sich über unsere Situation Gedanken machte. An diesem Abend weinte ich mich in den Schlaf.

© Brigitte Böck 2020-06-27