Man lernt Menschen kennen

TheGuyWhoKnowsAGuy

von TheGuyWhoKnowsAGuy

Story

Seit jeher war ich ein begeisterter Verfechter von Internetbekanntschaften. Gaming-Partner, Blog-Kollegen und sonstige – ich war stets entzückt. Selbst Fernbeziehungen waren für mich kein Thema zum Augen verdrehen. Auch wenn ich sie nicht für mich selbst haben wollte, habe ich sie doch respektiert und dank Beispielen in meinem Freundeskreis gesagt: Guckt mal her, es geht!

Niemals wurde ich müde zu betonen, dass eine auf dem Internet basierende Freundschaft lange nicht einer Reallife-Freundschaft nachstehen muss, nur weil man sich bei ersterer noch nie getroffen hat. Beides hat seine Vor- und Nachteile und bei der Fernbekanntschaft sind die Nachteile vielleicht leichter erkennbar. Aber wer gewillt ist, objektiv hinzusehen, der wird auch hier beide Seiten der Medaille erkennen.Immer wieder sprach ich über dieses Thema, versuchte zu überzeugen. Und immer wieder übersah ich einen Nachteil – nein, nicht einen, ich übersah „den“ Nachteil: Man lernt Menschen kennen.

Im Allgemeinen kommt er nur selten vor. Meistens läuft eine Onlinebekanntschaft z.B. so ab, dass man sich in einem Spiel zu einer Gruppe zusammenrauft, gemeinsam ein paar Aufgaben erfüllt und sich wieder verabschiedet. Alles halb so wild. Doch manchmal entfaltet sich der oben genannte Nachteil und schlägt zu, als gäbe es kein Morgen mehr.Es ist natürlich schön, sich auf manche Menschen einzulassen.

Auch im WWW gibt es coole Leute. Doch wehe dem, der auf die Schnapsidee kommt, mehr daraus zu machen. Liebe zum Beispiel. Oder Verknalltheit. Oder auch nur tiefere Freundschaft. Denn genau dann schlägt es zu: Man lernt Menschen kennen.Und hier beginnt das Grauen.

Fernbeziehungen sind häufiger, als manch einer glauben mag. Man hört nur seltener von ihnen, weil sie teilweise nicht lange genug gehalten haben, um für die Umwelt relevant zu werden. Ja, sie haben im Schnitt eine eher kurze Lebensdauer. Und doch fühlt man – mehr, als man möchte. Man weint, weil man fühlt. Man verzweifelt, weil man fühlt. Man opfert Zeit, Geduld, Nerven – alles, was man auch bei der Beziehung mit der süßen Nachbarstochter von Nebenan opfern würde. Weil man für diese Person Gefühle aufbaut. Und diese Gefühle sind sehr real.

Und spätestens dann, wenn man sich dieser Realität bewusst wird, fängt man an sich zu ärgern. Weil vielleicht nicht die üblichen 5km zwischen der Liebe und einem selbst liegen, sondern 900km. Weil man vielleicht noch kein Auto oder kein Geld hat. Man ärgert sich, weil man vielleicht noch zur Schule geht oder noch eine Weile studiert. Hindernisse über Hindernisse.

Was wäre es schön, wären es – zumindest da – keine Menschen, sondern Roboter. In dieser Hinsicht würde man die Welt damit etwas einfacher machen. Aber das wäre langweilig, also heißt es weiterhin: Man lernt Menschen kennen. Menschen, die man vielleicht lieb gewinnt, die anfangen, Einfluss auf einen zu nehmen. Menschen, an die man vielleicht viel denkt.Und die man vermisst, obwohl man sie noch nie gesehen hat.

© TheGuyWhoKnowsAGuy 2021-07-06

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