Mandarine – Frucht der Nächstenliebe

Zerdenker

von Zerdenker

Story

Warum gibt es Mandarinen eigentlich nur an Weihnachten? Oder zumindest nehme ich sie nur um diesen Zeitraum wahr, weil ich sie automatisch mit einem bärtigen, alten Mann mit Spitzhut und Stab verbinde. Dieser zieht mit seinem befellten Kumpanen gegen den 6.12. durch die Ortschaft und gibt den guten Kindern eine Mandarine, die Bösen jedoch mit Peitschenhieben bestraft.

Ein älterer Mann, der den Namen aller Kinder kennt und entscheidet welches belohnt oder bestraft wird.Vor allem schenkt er dann viele Nüsse, ein Schokoabbild von sich selbst (Annahme Narzisst) und ein paar Mandarinen – evtl. gegen Skorbut (Vitamin C Mangel). Das waren früher noch andere Zeiten. Heutzutage würde dieses Gespann wegen Belästigung von Minderjährigen schnell in Untersuchungshaft landen, wenn wir uns nicht damit als Brauchtum abfinden würden.

Bei einem Durchforsten meiner Kindheitsbilder bin ich darauf gekommen, dass so gut wie von jedem Jahr ein Foto von mir mit dem Nikolo existiert, bei dem Jüngsten davon hielt sich meine Aufregung in Grenzen. Es bringt mir dennoch immer eine Freude daran zu denken, welcher Aufwand für mich betrieben wurde. Ich bin nicht so der Freund von Fruchtfleisch und hab mich deshalb immer gefragt, warum der Vorfahre der Orange (Mandarine gepaart mit Grapefruit = Orange) nur zu dieser Jahreszeit bei uns gegessen wird.

Die Geschichte hierbei ist, dass die Früchte im Winter reif werden und früher nur in den Kolonialwarenläden zu kaufen und dementsprechend teuer waren. So kaufte man sich diese nur zu besonderen Gelegenheiten. Da freute man sich verhältnismäßig mehr, wenn einem eine der Südfrüchte geschenkt wurde und sehnte sich länger danach. Bei den heutigen Preisen und Mengen ist das für die Kinder jetzt eher ein fragendes „Danke?!“ – verbunden mit der elterlichen Erinnerung, am Tag ein Stück Obst zu essen.

Auch wenn ich ein großer Freund von Brauchtum bin, so kann ich mich mit der jetzigen Illusion, welcher der Nikolaus vertritt, nicht anfreunden. Es ist ja mehr oder weniger ein Gedenken an einen sehr nächstenliebenden Herrn, das bis jetzt Bestand hat.

Ich treibe den Gedanken sogar etwas weiter und gehe auf eine Schrift von Sigmund Freud ein – die Zukunft einer Illusion.Hier beschreibt dieser, dass die Grundlage für Religion die menschliche Hilflosigkeit ist. Gerade in unserem Bemühen, den Kindern moralisch richtiges und ordentliches Denken und Handeln beizubringen, kommt eine Figur, die genau weiß was ich Gutes oder Schlechtes gemacht habe, wie gerufen, um etwas Verantwortung abzugeben und mit dem Finger von sich als Erziehenden weg auf jemanden anderen zu deuten.

Ich würde von Anfang an den Kindern erklären, dass es sich beim Nikolaus um eine Rolle handelt. Er lehrt anhand von Geschichten Nächstenliebe und moralisch richtiges Handeln wertzuschätzen.Dann gibt zur Belohnung ein Stück Obst und da man Mandarinen gut teilen kann, passt diese perfekt dazu.

© Zerdenker 2020-12-06

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