von TomScharka
Als ich jung war, war U-bahnfahren wahrscheinlich wie für viele Jungs ein großes Abenteuer. Das Einfahren der Züge, die Durchsagen, die Leuchtschrift der Anzeige. Im Waggon stand ich immer an der Kabinentüre und sah mir die vielen bunten Knöpfe, Schalter und Hebel begeistert an. Ich presste meine Handkanten gegen die Glasscheibe und presste mein Gesicht dagegen. Manchmal mit anderen Jungs zusammen, wir drängten uns um den besten Platz, schoben uns gegenseitig beiseite, um den besten Blick zu erhaschen und ehe es zu einem Gerangel ausartete, schritten die Erwachsenen ein, in meinem Fall meine Oma. Manchmal stiegen wir in der Station Karlsplatz aus. Natürlich hegte ich auch einige Zeit den Wunsch Ubahnfahrer zu werden. Der Knöpfe wegen. Wir fuhren die Rolltreppe hinunter, auch ein kleines Abenteuer. Oma mahnte mich, mich anzuhalten. Am letzten Stück der Rolltreppe sah ich ihn, da war er wieder, der Mann mit dem Hund. Er saß mit ausgestreckten Beinen da und blickte Richtung Rolltreppe und lächelte jeden an, der seinen Blick erwiderte. Der Mann hatte weißes Haar, schien etwa um die sechszig zu sein. Sein Gesicht war spröde, wirkte aber trotzdem irgendwie sanft. Seine Kleidung war eher durchschnittlich, aber sauber. Sonst wirkten seine Gesichtszüge sympathisch. Meine Oma grüßte ihn oft, wenn wir hastig an ihm vorbeigingen. Er erwiderte den Gruß mit einem Nicken. Da war dann noch sein Hund. Ein Schäferhund. Er lag ruhig neben ihm und sah ganz entspannt aus. Die vielen Menschen schienen ihn nicht zu erschrecken, auch der Trubel schien ihm nichts anzuhaben. Neben dem Hund stand eine Schüssel, dort konnte man Geld reinwerfen. Münzen wie ein Schilling, zwei Schilling, fünf Schilling. Ab und zu waren auch Scheine dabei. Irgendwie schien es eine ungeschriebene Regel zu sein, jeder der Geld in die Schüssel warf, durfte den Hund streicheln. Der Mann quittierte dies stets mit einem Lächeln. Manche Fahrgäste wechselten währenddessen auch ein paar Worte mit dem Mann. Fragten oder brauchten ihn gleich einen Becher Kaffee, obwohl er eigentlich nie bettelte. Er saß dort an seinem Platz in der Station, beobachtete die Menschen und lächelte sie an. Er wirkte unaufdringlich und auch irgendwie friedvoll. Kurz bevor der abendliche Berufsverkehr einsetzte, ging der Mann mit seinem Hund. Am nächsten Tag war er wieder da. Von Montag bis Freitag saß er dort jeden Tag. Ob er manchmal die Menschen zählte, die hektisch an ihm vorbeigingen und wie viele davon ihm ein paar Münzen opfterten? So ging es jahrelang und der Mann mit dem Hund war schon eine Institution. Bis, ja bis er eines Tages nicht mehr kam. Nicht am Montag, nicht am Freitag. Eines Tages laß meine Oma einen Artikel in der Zeitung, dass der Mann verstorben war und dass man unter seiner Matratze über 100. 000 Schilling fand. Diese spendete er dem Tierschutzheim, denn er hatte keine Familie. Er saß also nicht dort , weil er arm, sondern weil er einsam war.
Eine wahre Geschichte.
© TomScharka 2021-09-19