von Irene Hülsermann
Meine Freundin sah und sieht aufsehen erregend gut aus. Spitzenfigur, lange Haare, bildhübsches Gesicht und eine enorme Ausstrahlung. Demzufolge kein Wunder, dass sie schon immer die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog. Anfang zwanzig lief sie auf dem Gehweg durch Starnberg. Ein Autofahrer in einem riesigen Schlitten sah sie, drehte sich nach ihr um und fuhr dem Vordermann auf. Aber anstatt sich um die ramponierten Autos zu kümmern, stieg er aus, lief zu ihr und lud sie ein. Die zeigte ihm nur den Vogel und spazierte von dannen.
Hingegen meine Schwester lernte bei einem Fest von Freunden in München einen Mann kennen. Als sie das erste Date bei ihm Zuhause hatte, fragte er, ob sie etwas trinken möchte. Daraufhin verschwand er in der Küche. Als er zurückkam, war er splitterfasernackt und zur Krönung biss er in ein hart gekochtes Ei. Das war zu viel für sie. Sie packte ihre Tasche und verließ die Wohnung fluchtartig.
Ich wiederum ärgerte mich mal wieder, dass ich wie jedes Jahr in meiner Lohnsteuerkarte ein ganzes Kind nachtragen lassen musste. Als Alleinerziehende bekam ich nur automatisch ein halbes Kind eingetragen. Da ich aber mit dem biologischen Vater keinen Kontakt mehr hatte, er keinerlei Ansprüche stellte und auch nichts bezahlte, war dieser Gang für mich mehr als lästig. Stinkesauer machte ich meinem Frust Luft. In dem Raum saß außer dem Bearbeiter noch ein zweiter Mann. Als ich das Zimmer verließ, folgte mir dieser und lud mich zum Essen ein. „Ihr Temperament gefällt mir!“, lautete seine Begründung.
Ein anderes Erlebnis mit dem anderen Geschlecht erlebte ich, als sich mein Mann im Auslandseinsatz aufhielt. Es war mittlerweile Tradition immer zum Abschluss der Italienischkurse zum Italiener zu gehen und dorthin nahm ich unsere kleine Tochter mit. Auf dem Weg zum Lokal stoppte ein BMW neben mir und der Fahrer erkundigte sich nach dem Weg. Ich erklärte es ihm. Da fragte er mich, ob ich mit ihm Essen gehen würde. Ich war so perplex – hielt ich doch die Hand meiner Tochter – dass ich nur stotterte: „Aber ich bin doch verheiratet!“, und auf den Ehering deutete. Er grinste nur und erwiderte: „Schade!“
Und jetzt merke ich, dass ich alt geworden bin. Vor ein paar Tagen holten meine Tochter und ich ihr neu erworbenes Meerschweinchen ab. Auf dem schmalen Gehweg liefen wir hintereinander. Plötzlich hörte ich, dass sich von hinten ein Auto näherte. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass es langsamer wurde und vier Männer aus dem offenen Fenster schauten. Gerade wollten sie ansetzen etwas zu sagen, da fiel ihr Blick auf mich. Schnell gaben sie Gas und fuhren davon. Lachend erzählte ich es meiner Tochter. „Das Einzige an mir, was noch jung ausschaut, sind die blonden Haare!“
© Irene Hülsermann 2021-07-05