MĂ€nner zur Geisterstunde.

Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Es ist Donnerstag und Juli, eine Tropennacht nach einem drĂŒckend heißen Sommertag. Zur Geisterstunde schlĂ€ft der Gastgarten, wen wundert’s, heute ist Ruhetag. Trotzdem hockt unterm Kastanienbaum auf einem hölzernen Klappstuhl eine mĂ€chtige Gestalt. Ein fleischgewordener Kleiderschrank, ein Mann mit Ecken und Kanten. Der Leithenmayr Hermann ist’s, der sich erstmals nach 10 Jahren aufgerafft hat, seine feuchte Grube am Tabor zu verlassen. Nun sitzt er schweigend in Pöchhacker’s Garten und schwelgt in Erinnerungen, gerade ruht sein Blick auf dem Schwimmbad. Ja, das ist seine Schwimmschule, in der auch der kleine Hermann bei 16° Wassertemperatur erbarmungslos vom Plantscher zum Schwimmer ausgebildet wurde. Seit Josef Werndl 1874 das Schwimmbad fĂŒr seine Mitarbeiter erbauen ließ, haben hier Hunderte, ach was, Tausende von Arbeiterkindern das Schwimmen gelernt. Und Hermann, der es als BĂŒrgermeister tatsĂ€chlich zu was gebracht hatte, blieb seiner Schwimmschule nach seiner Zeit in der Politik treu. Gleich gegenĂŒber, auf der anderen Straßenseite, da hat er beizeiten eine Villa bezogen, damit er im Ruhestand nicht weit zum Plantschen und Plauschen hat.

„Na, Herr BĂŒrgermeister, bist du zufrieden?“, klang’s plötzlich hinter seinem RĂŒcken. Ein Ă€lterer Herr mit altmodischem Zwirbelbart und antiquiertem Anzug trat aus dem Schatten des mĂ€chtigen Baumes. Den alten Leithenmayr, den „Eisernen“, den kann nach Jahren der FriedhofskĂ€lte so schnell nichts mehr erschĂŒttern, jetzt aber war er kurz sprachlos. Sehr kurz nur, sonst wĂ€re er nicht der Hermann: „Das gibt’s nicht. Sag bloß, du bist wirklich der Werndl“, fragte er unglĂ€ubig und mit leichtem Zittern in der Stimme. Der große Herr Werndl, der GrĂŒndungsvater fast aller Steyrer Industrie und unzĂ€hliger sozialer Einrichtungen. „Du darfst Josef zu mir sagen, immerhin hast du ja auch einiges in Steyr hingekriegt“, gab der historische Mann grinsend zurĂŒck.

Und schon war Hermann wieder der Alte, angriffslustig und unnachgiebig: „Wenn’s dich nicht gegeben hĂ€tte, wĂ€re ich zwar Nichtschwimmer geblieben und vielleicht schon als Kind ersoffen. Aber warum, du knausriger Waffenbastler, warum hast du keine Heizung vorgesehen, das Wasser der Steyr ist doch im FrĂŒhjahr wirklich arschkalt. Warum mĂŒssen unschuldige kleine Buben schon im April, wenn in der Steyr noch die Eisschollen schwimmen, zum Kampfschwimmer ausgebildet werden? Das ist doch völlig verrĂŒckt!“

Das hat gesessen, der Werndl war sprachlos. BetrĂŒbt zog sich der honorige Herr hinter den Kastanienbaum zurĂŒck. Vom schlechten Gewissen getrieben erhob sich Hermann kurz darauf, um ihn zu suchen: „Herr Josef, ich hab’s doch nicht bös gemeint, immerhin bin ich nicht ersoffen.“ Doch zu spĂ€t, weg war er, der Vater der Schwimmschule. Herr Josef kam nie wieder, weder zur Geisterstunde noch irgendwann sonst. Auch Hermann war enttĂ€uscht vom ersten Ausflug und zog es vor, weiterhin am Tabor die ewige Ruhe zu genießen.

© Franz Brunner 2021-06-29

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