Marie und Leo – Erstes Rendezvous

Franz Kellner

von Franz Kellner

Story
Wien

Als ich Leo, meine erste Liebe kennenlernte, wohnte ich im 14. Bezirk, in der Kuefsteingasse, in einer Küche-Zimmer-Wohnung, mit meinem Bruder Otto und meinen Eltern. Ich weiß noch, wie er draußen auf der Ecke stand und alle Fenster beobachtete, ob nicht irgendwo ein Licht anging. Aber ich schlich mich ganz leise hinein, weil mein Bruder und meine Eltern schliefen. Leo und ich hatten uns, bevor wir uns verabschiedeten, ausgemacht, dass wir uns am Sonntagnachmittag um drei Uhr in der Lerchenfelder Straße, bei der 46er Haltestelle, treffen werden. Davor ging ich zu meiner Freundin Erni, weil ich wollte, dass sie zu dem Rendezvous mitging. Aber sie entdeckte in ihrer Strumpfhose eine Laufmasche und ging zurück in ihre Wohnung, zum Umziehen.
Deswegen kam ich zu meinem ersten Rendezvous 15 Minuten zu spät. Er wollte gerade gehen, aber wartete trotzdem die 15 Minuten. Allerdings betonte er, dass es nicht seine Art war auf eine Frau zu warten. Er war nicht begeistert, dass ich meine Freundin mitbrachte. Wir gingen in ein Gasthaus, wo wir uns erst einmal etwas beschnupperten. Wie man das halt bei einem ersten Treffen so macht. Danach gingen wir zu Fuß zu mir nach Hause. Das war der 11. Oktober und schon ziemlich kalt. Am nächsten Tag musste ich ja wieder arbeiten gehen.
Während dieser Zeit, wie ich Leo kennenlernte, erlebte ich Folgendes:
Ich hörte auf, als Ladnerin in der Fleischhauerei Hiblinger zu arbeiten und tat erst einmal dass, was ich eigentlich, seit ich die Schule verließ, immer schon machen wollte. Ich begann in der Haidmannsgasse im 15. Bezirk mit einer Schneiderlehre. Ich glaube, mein Bruder Otto arbeitete damals auch in dieser Gasse als Bäcker. Er musste immer um ein Uhr Nachts anfangen. Darum fuhr er immer mit dem Moped dorthin. Da hing ein Zettel im ersten Stock im Fenster, dass sie einen Lehrling aufnehmen. Nur war das eine Konfektionsschneiderei. Da bekam man bereits alles fertig zugeschnitten und nähte die Teile nur mehr zusammen. Ich fing aber trotzdem an. Nur bekam ich als Lehrling im ersten Jahr 37 Schilling in der Woche als Lehrlingsgeld. Davon zahlte ich 11 Schilling für die Wochenkarte und vom Rest hätte ich mir noch etwas zum Essen kaufen sollen. Das gefiel meiner Mutter nicht. Mein Vater arbeitete damals bei der Wiener Wach- und Schließgesellschaft, wo er auch nicht viel verdiente. In der Fleischhauerei bekam ich immer ein Mittagessen und für den Abend habe ich etwas zum Essen mitbekommen. Außerdem durfte ich das Fleisch für meine Mutter günstig einkaufen. Als ich die Lehre anfing, musste meine Mutter wieder für mich kochen. Das gab bereits von Anfang an Zwist. Als ich einmal sagte, dass ich mir einen Stoff kaufen wollte, damit ich für mich ein neues Kleid nähen könnte, sagte sie nur, wird endlich Zeit, dass du dir selbst etwas verdienst. Irgendwie kaufte ich den Stoff doch. Nahm mir aber vor, dass ich mit der Lehre, nach einem dreiviertel Jahr, aufhörte, um mir etwas zu suchen, wo ich mehr verdiente, damit mich meine Eltern nicht erhalten mussten. Zum Glück fand ich eine Stelle bei der Fa. Emmerich in der Wiedner Hauptstraße 23-25, im 4. Bezirk, als Hilfsarbeiterin. Dort verdiente ich 200 Schilling in der Woche, also 800 Schilling im Monat und fuhr mit einer Monatskarte. Ich hatte eine Vorgesetzte, welche mich sehr gut leiden konnte. Da habe ich viel mehr gelernt, als vorher als Lehrling. Es gab viele verschiedene Nähmaschinen, auf welchen ich lernen durfte.

© Franz Kellner 2025-03-30

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Biografien
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