von Franz Kellner
Ich erinnere mich an ein Buch von Vicki Baum, welches ich einmal gelesen hatte. Es hieß ,,Vor Rehen wird gewarnt“. Das waren zwei Schwestern oder zwei Freundinnen. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber eine war immer nur arm und hilfsbedürftig. Die andere hat ihr überall geholfen. Sie hat ihr auch ihren Mann geborgt, weil sie ihr so leid tat.
Genau so eine blöde Kuh bin ich gewesen. Ich arbeitete sehr oft bis zum Umfallen. Ich wollte nur ein einziges Mal von meinem Mann hören, dass er sagte: Das hast du gut gemacht oder du bist eine tüchtige Frau.
Fast alle Parteien sagten ihm, dass sie so froh waren, dass sie mich hatten, weil ich durch meinen Einsatz 32 Parteien ihre Wohnungen rettete. Aber dass keine einzige Partei sagte, dass auch er so ,,tüchtig“ sei, störte ihn sehr. Wenn ich zu ihm sagte, dass ich ihn brauche, antwortete er immer nur, dass er gerade jetzt keine Zeit hat. Aber wenn die Erika fragte, kannst du mir etwas machen oder helfen, dann hatte er immer Zeit für sie. Dafür stand sie ihm dann aus Dankbarkeit zur Verfügung, um ihn zu seiner Befriedigung zu verhelfen. Besonders dann, als ihr Mann bereits verstorben war. Da musste Leo plötzlich immer Überstunden machen oder er stand im Stau.
Sie lud uns auch alle zu seinem Geburtstag ein, wo sie betonte, dass sie für ihn sogar einen Rehrücken zubereitet hatte, wo ein Kilogramm 450 Schilling gekostet hatte. Aber wenn ich zu meinem Mann sagte, dass sie kein Recht hat, für ihn eine Geburtstagsparty auszurichten, meint er: Du mit deiner blöden Eifersucht musst immer alles zerstören. Egal was ich sagte oder machte, ich war immer nur die Böse.
Bis sie dann eben gestand, dass sie ihn liebte und nichts dafür kann, aber dass sie nicht mehr ohne ihn leben konnte. Erst viel später vermutete ich, dass mir meine Tochter das von ihrem Papa deswegen sagte, weil sie wusste, dass ihr so heiß geliebter Papa auch noch eine Beziehung mit Erika hatte. Sie begriff, dass ihr Vater uns wegen ihr verlassen wird und zu Erika ziehen wird.
Die Kinder von Erika, Helga und Harald waren nämlich ihr bester Freund und Freundin. Da hat sie dann, so vermutete ich es zumindest, nicht nur in mir, sondern auch in Erika, eine Nebenbuhlerin gesehen. Als dann auch noch ihr Markus, während sie ihre Aufgabe in ihrem Zimmer machte, mit ihrer besten Freundin schmuste, war ihr das alles zu viel.
All das war der Auslöser, warum sie am 21. Oktober in unserem Wohnhaus um 6 Uhr in der Früh in den dritten Stock hinaufging und sich hinunterstürzte.
Sie schrieb 30 Seiten Abschiedsbriefe. Damals war ich der Meinung, dass es ihr besser ging. Was sich dann leider als ein Irrtum herausstellte. Nur hinterher ist man immer gescheiter.
Foto: Rehe – Gemälde von Maler Batacek
© Franz Kellner 2025-06-27