Marillenernte

Gernot Blieberger

von Gernot Blieberger

Story

Anfang Juli. Die Sommerferien hatten gerade erst begonnen, doch war die Schule schon im Nebel der Vergangenheit versunken. Nun gab es freie Zeit, Spaß, Freun-de – und die Marillenernte.

Der riesige Garten war der Lebensmittelpunkt meiner Großeltern und lange Zeit auch für mich. Viele, viele Stunden meiner Kindheit verbrachte ich hier, zwi-schen den Obstbäumen und den Ribiselstauden, zwischen Rosenstöcken und Tul-pen, zwischen Erdbeerbeeten und einigen Weinstöcken. Ein weitläufiges Gelände zum Austoben, um die Freiheit zu genießen, Baumhütten zu bauen und angstvoll auf die riesigen Spinnen im Plumpsklo zu starren.

Doch ein Garten, noch dazu ein Nutzgarten wie dieser, bedeutet auch Arbeit. Vom Eintreffen bis zur Heimfahrt streunten meine Großeltern durch das Gelände und fanden immer irgendetwas, das zu tun war. Nun, während der Erntezeit, waren alle gefragt. Zwischen dem satten Grün der Blätter leuchteten sie hervor, die Marillen in ihrem gelb-orangen Gewand, manchmal schon mit einem Einschlag ins Rote. Unvergleichlich der Geschmack, der sich im Gaumen ausbreitete, wenn man in solch ein Früchtchen hineinbiss. Die meisten aber landeten in den Plastikkübeln, mit denen wir sie zu den Holzsteigerln trugen, immer darauf bedacht, die zarten Früchte vorsichtig zu behandeln, denn unversehrt brachten sie das meiste Geld ein. Alle anderen, die schon leicht angeschlagen waren, weil sie überreif einfach von selbst vom Baum fielen, die kamen in die Schnapsbrennerei.

Was konnte – und kann – man alles aus diesem Obst herstellen: von Marillen-knödeln über Marillenkuchen bis hin zur Marillenmarmelade, die wieder am bes-ten als Fülle in Palatschinken schmeckte. Das hochprozentige Produkt, Schnaps und Likör, war damals für mich natürlich noch tabu.

Marillen werden nicht gleichzeitig reif. Ständig bedurfte es der Beobachtung, ob nicht wieder ein paar von ihnen zu ernten wären, bevor sie vom Baum fielen und so verbrachten ich mit meinen Großeltern während der Hochsaison nicht nur die Tage im Garten, sondern auch die Nächte in der Hütte. Das war ein Highlight, denn es bedeutete für mich ein Leben in der Wildnis, abgeschieden vom Rest der Welt, es gab keinen Strom, keinen Fernseher, kein Telefon und so etwas wie ein Handy existierte nur in der Raumschiff Enterprise – Serie. Wasser gab es von der Quelle, wurde zum Trinken mit Omas herrlichem Ribiselsirup verfeinert. Opa schnitt mit seinem obligatorischen Taschenmesser die Wurst für das Abendessen auf. Eine Gaslampe sorgte für Licht, doch wenn die Sonne unterging, dann dauerte es nicht mehr lange und wir rollten uns sowieso in die Decken ein. Ich lauschte noch eine Zeit lang den Geräuschen der Nacht, bis ich einschlief.

Es mag eine gehörige Portion Nostalgie dabei sein, aber es war eine schöne Kindheit. Meine Großeltern sind schon gestorben, den Garten haben wir vor Jah-ren verkauft, aber noch heute denke ich immer wieder gerne an diese Zeit zurück, wenn ich Marillen sehe.

© Gernot Blieberger 2019-11-12

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