Marion Friedrich

Claudia Ullrich

von Claudia Ullrich

Story

“Was reden Sie da? Ich habe ihre Tochter nie angefasst. Und auch kein anderes Kind! Wie kommen Sie denn auf so eine Idee? Sind Sie wahnsinnig geworden?” Er muss zucken. Doch gar nicht so stark, wie man in einer solchen Stresssituation erwarten würde.

„Natürlich haben Sie das! Sag’s ihnen, Emma!“, bedrängt Sarah Kraus ihre Tochter. Als diese nicht antwortet, beugt Florian sich zu ihr hinunter: „Ist das wahr? Warum hast du das gesagt?” Tränen laufen dem Mädchen über die Wangen, die ganz rot angelaufen sind. „Das hab‘ ich nicht gesagt“, flüstert sie. „Gesagt nicht, aber ich habe es gelesen. Hier drin steht es – in ihrem Tagebuch.“ Jetzt reißt Emma ihrer Mutter das Tagebuch aus der Hand. „Wieso hast du in meinem Tagebuch gelesen?“ Sarah reagiert nicht. Die Kleine erntet nur böse Blicke. Florian ist verwirrt. Die Luft zum Schneiden. Während Sarah und ihre Gefolgschaft vor Zorn überkochen, empfinden alle anderen eine tiefe Betroffenheit. Mitleid mit dem Mädchen oder mit Florian. Das lässt sich kaum unterscheiden. „Hier drin steht, dass Sie ihr Ihren Penis gezeigt haben. Und Sie wollten, dass sie sich auch auszieht.“ Florian erhebt sich aus der Hocke. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. „Aber ich habe nicht ihn gemeint, Mama. Nicht Florian hat mir seinen Penis gezeigt.“ Es ist die leise Erklärung einer gebrochenen Stimme. – „Wer dann?“, faucht Sarah, die ihrer Tochter kein Wort glaubt.

„Sebastian.“

Florian schaut sich nach dem Jungen um. Wie alle anderen auch. Doch man hört nur noch das Trippeln weglaufender Schuhe auf den Treppen. „Schnell Fräulein Coco, laufen Sie ihm nach!“, meldet sich Herr Kaltenbrunner zu Wort.

„Hören Sie gefälligst auf, meine Frau so zu nennen, Sie alter geiler Bock“, fährt Gerald Friedrich ihm über den Mund.

“Was? Die Marion Friedrich ist Ihre Freundin Coco?“, will Luisa Aufschneider wissen, „von der Sie Ihre Tipps bekommen?“ – „So heißt Sie nur, wenn Sie in der Luna Bar arbeitet. Deshalb hätte ich es wohl nicht laut sagen sollen“, fällt Dietmar Kaltenbrunner nun ein, und er wird ganz leise. Gerald Friedrich geht auf den Alten zu, den Brustkorb rausgestreckt. „Lassen Sie die Finger von meiner Frau!“, zischt er durch die Zähne. Der Rottweiler fletscht seine ebenso.

„Eigentlich war der Giftköder ja für den gedacht“, spottet Luisa leise.

„Die Luna Bar ist ja der Puff in der Grenadiergasse“, stellt Chris fest und schon schießt es ihm. „Oh!“, wirft er noch nach.

“Ein Puff? Das heißt, Sie gehen zu Nutten? Und eine davon ist die Friedrich?”, theatralisch greift sich Luisa Aufschneider an ihr Herz. „Und mit so wem war ich spazieren.“

„Was heißt hier Nutte?” Gerald Friedrich fühlt sich wieder bemüßigt, seinen Senf dazuzugeben. Und keiner merkt, dass sie schon längst nicht mehr dabeisteht, die liebe Coco. Sie ist ihrem Sohn nachgelaufen. Sie sitzen nebeneinander auf den Schaukeln. „Warum hast du denn deiner Freundin deinen Penis gezeigt?“, fragt sie ihr Kind liebevoll. „Weil ich nicht weiß, was man sonst damit macht, Mama.“

© Claudia Ullrich 2022-12-12

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