Zwei alte Menschen sitzen auf einer Bank im Garten des Altersheimes und beobachten, wie ein Mann auf einen Baum steigt. Höher hinauf will er, um seinen Blick weit in die Ferne schweifen zu lassen, vielleicht bis zum Märzengrund, vielleicht bis zu seiner kleinen Hütte hoch in den Bergen.
Komparsen im Altersheim durften wir sein und diesen großen Schauspieler Johannes Krisch aus der Nähe erleben. Im schloßartigen Ambiente der Landwirtschaftsschule Rotholz waren die Aufnahmen angesiedelt, und wir verbrachten einen interessanten Drehtag dort. Wie oft wurde die Szene mit dem Falken gedreht, der sich hoch in die Luft schwingt, um dann immer wieder auf dem Arm der Falknerin zu landen. Wie oft rannte Elias durch den Aufenthaltsraum, um ins Freie zu gelangen. Wie oft verweigerte er im Speisesaal jeden Bissen und jedes Gespräch. – Unbedeutende Szenen und doch mit Sorgfalt immer wieder gedreht. So entstehen Filme, die Kunst sind und berühren.
Der Filmtross hatte sein Lager aufgeschlagen und es machte großen Spaß zu erleben, wie die Zahnräder ineinandergreifen, vom Regisseur über die Lichtfachleute, die Requisiteure und Maskenbildnerinnen bis zum Kaffeeholer und Regenschirmverteiler, als ein plötzlicher Regenguss die Dreharbeiten behinderte. Eine fahrbare Küche wurde mitgeführt, aus der wir köstlich verpflegt wurden und die Wartezeiten bis zu den Auftritten wurden durch interessante Gespräche verkürzt.
Der Film ‘Märzengrund’ vom vielfach ausgezeichneten Regisseur Adrian Goiginger basiert auf dem Theaterstück von Felix Mitterer. Er greift das Thema auf seine Art auf und spinnt es weiter. Grandiose Naturaufnahmen, charismatische SchauspielerInnen, meisterhafte Kameraeinstellungen und Schnitte.
Die zarte Liebesgeschichte von Elias (Jakob Mader) und Moid (Verena Altenberger) wird brutal unterbrochen. Elias hält diesem Leben nicht mehr stand. Seine seelische Isolation führt zur Nachdenkpause verordnet vom Vater (Harald Windischer) und schließlich zum lebenslangen Rückzug in die Natur. Nur seine liebevolle Schwester (Iris Unterberger) und der Jäger können mitunter zu ihm durchdringen. Er scheint – bei aller Härte – ein glückliches Leben zu führen. Und doch stehen am Ende – ganz anders als bei Mitterer – die Fragen: Wofür habe ich gelebt? Wem habe ich Gutes getan? War es Egoismus? Hat mein Leben einen Sinn?
Was hat Goiginger dazu bewogen, einen Moment der Versöhnung einzubauen? Elias verspricht im Würgegriff der tyrannischen Mutter (Gerti Drassl), sein Leben nicht vor dem ihrigen zu beenden und verzichtet bis nach ihrem Tod auf den Selbstmord. Einmal wolle er für andere Gutes tun! Ein friedliches Bild, wie sie im Zimmer sitzen, und ein Fotoalbum anschauen. Zu viel der inszenierten Harmonie für meinen Geschmack.
Der Schluss führt hinauf in lichte Höhen. Der selbst herbeigeführte Tod wird ein Flug in die Freiheit. Hinaus, hinauf – höher immer höher – dort wo die Falken kreisen und der Himmel ganz nahe ist.
© Christine Sollerer-Schnaiter 2022-08-25