von Lorenz Graf
Zugegeben, ich mag Bälle. Ich meine damit nicht die „Lederwuchteln“, sondern Tanzveranstaltungen. Ich mag sie alle, egal ob es kleine Hausbälle in einem Dorfwirtshaus sind oder große Edelbälle in der Hofburg in Wien. Die Veranstalter, die ihrem Ball einen Namen geben, schätze ich alle: Feuerwehrball, Sportlerball, Polizeiball, Jägerball usw. Besondere Freude hatte ich immer mit Maskenbällen. Das sich Verstecken hinter einer Person, einem Tier oder sonst einem Wesen vermittelt ein Gefühl der Freiheit und auch Frechheit. Dazu kommt die Neugierde, wer sich hinter einer Verkleidung versteckt. Beim Tanzen ist man etwas mutiger und an der Bar lockerer, wenn auch die Unterhaltung manchmal erschwert ist. Besonderes Vergnügen bereitete es, wenn man sein Gegenüber erkannt hatte, selber aber unerkannt blieb. Es kann aber auch umgekehrt laufen. Für die weiblichen Gäste ergab sich noch ein zusätzlicher Vorteil. Den ganzen Abend galt Damenwahl, was der Tanzlust der Frauen entgegenkam, da sie ja viel lieber tanzten als die Männer. Auf einem Maskenball wurde ich einmal von einer anziehend gekleideten, attraktiven Dame zum Tanz aufgefordert. Sie war zwar hübsch anzusehen, ihre Tanzschritte waren aber etwas unkoordiniert, um es vorsichtig auszudrücken. Wir quälten uns so recht und schlecht über das Parkett, wobei bei mir die Sorge rhythmisch mitschwang, dass meine Zehen zerquetscht werden könnten. Die Rettung schien mir eine Einladung an die Bar zu sein. Als die Dame zustimmend nickte, schöpfte ich Hoffnung, einem gefährlichem auf die Zehentreten zu entkommen. Die Unterhaltung an der Bar war durch die Maske naturgemäß stark beeinträchtigt, aber mit Gesten und mit dem Kopf nicken gelang eine bescheidene Unterhaltung. Nicht bescheiden aber war der Durst der Dame. Die Arme schien viel aufholen zu wollen. Hoffentlich wird es ihr nicht zu viel, dachte ich mir. Auffallend war, dass die Frau nicht wie üblich irgendein Mixgetränk schätzte, sondern Bier und das reichlich. Als sie mich dann zu einem neuen Tanz aufforderte, lehnte ich höflich unter dem Vorwand ab, dass ich noch eine längere Schnaufpause bräuchte. Mit dem Angebot, dass wir noch etwas trinken könnten, gelang es mir einem weiteren Tanz zu entkommen. Eine Tanzpartnerin, die gegen jeden Takt ihre Beine bewegt und mich mitreißen will, weckt in mir keine große Lust, mit ihr über das Tanzparkett zu schweben. Ich lasse mich gern von der Musik tragen. Dazu kann ich keine Arme brauchen, die auf und niedersausen und schon gar nicht Schultern, die hin und her wackeln. Plötzlich gesellten sich zwei bekannte Damen meiner Tanzpartnerin zu uns und tranken eifrig mit, auf meine Kosten natürlich. Zugegeben, ein Tanz wäre viel billiger gekommen, als das Verweilen an der Bar. Aber dafür wurden meine Zehen verschont. Es war kurz vor Mitternacht, dem Zeitpunkt, an dem die Masken fallen mussten. Zu meinem Schreck erwischte mich besagte Dame gerade noch zum Tanzen. Neben uns tanzten auch die beiden anderen Damen, die angeblichen Freundinnen. Dann kam endlich das erlösende „Masken runter“. Verblüfft schaute ich in drei lachende Gesichter, Männergesichter. Es waren drei Freunde von mir, verkleidet als Damen, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, mich zu täuschen und obendrein einen äußerst günstigen Barbesuch genießen zu können. Erkennt man nicht selten die Wahrheit, die hinter einem Menschen steckt, wenn man sich nur auf sein Äußeres verlässt?
© Lorenz Graf 2025-02-27