Materialtest

Josef Peneder

von Josef Peneder

Story

Mitte der 80er Jahre kamen die ersten 2-Liter-Kunststoffflaschen auf. Es hieß, diese seien „unkaputtbar“, weshalb es unter den Schülern natürlich zu den ausgeklügeltsten Tests kam: man warf sie, stieg und sprang darauf oder ließ gar ein Auto drüberfahren. Ich wäre selbst einmal beinahe zum unfreiwilligen Opfer eines solchen Flaschentests geworden.

Ich war damals als junger Begleitlehrer zum ersten Mal mit den beiden 4. Klassen auf Wienwoche mit dabei. Wir waren in einem altmodischen Heim untergebracht, Knaben und Mädchen in getrennten Gebäudetrakten, dritter Stock, düsteres Stiegenhaus, aber für die Kinder und mich war alles neu und aufregend.

Während ich ein kleines, einigermaßen gemütlich eingerichtetes Zimmer zur Straßenseite bezog, waren die Knaben gegenüber jeweils zu sechst in typischen Jugendheim-Zimmern untergebracht, wie ich sie aus meiner eigenen Schulzeit von Schikursen kannte. Metallkästen, Stockbetten, grauer Filzboden, ein ramponierter niedriger Holztisch und ein paar Stühle; das Fenster, das in einen trostlosen, dunklen Innenhof blickte, ließ sich wenigstens öffnen, weshalb der übliche Jugendzimmer-Mief nicht ganz so schlimm war, wie erwartet. Genau dieses Fenster zum Innenhof war es auch, das eine der Zimmermannschaften auf die bedenkliche Idee brachte: einen Materialtest der neuen Kunststoffflaschen.

Natürlich opferte man nicht zwei Liter Cola, die mussten vorher ausgetrunken werden, weshalb der Test erst am zweiten Tag vonstatten gehen konnte.

Die Flasche war also mit Wasser gefüllt worden, alle drängten sich am Fenster, um zu sehen, was passieren würde, wenn sie tief unten am Steinpflaster aufschlug. Der Hof war leer, die Luft rein, die Gelegenheit günstig.

In diesem Moment betrat ich den Raum. Die erschrockenen Schüler wichen vom Fenster zurück, von draußen hörte man einen dumpfen Aufschlag. Ich beugte mich übers Fensterbrett und schaute in den Hof.

Von unten schaute der Hausmeister herauf. Selbst aus dieser großen Höhe konnte ich sein zorngerötetes Gesicht erkennen. Als er mich sah, begann er zu schreien: „Du Gfraast!“, schrie er, „na woat, i kum auffi, du fliagst ausn Heim!“ Seine Stimme zitterte vor Wut.

Geistesgegenwärtig schloss ich das Fenster, ergriff die Flucht in mein Zimmer und versperrte die Tür.

Kurz darauf hörte ich seine energischen Schritte draußen am Gang. Weil er nicht genau wusste, aus welchem Zimmer die Flasche gekommen war, hörte ich ihn da und dort herumbrüllen. Da alles friedlich war, musste er letztendlich unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Von den Schülern hat mich Gott sei Dank keiner verraten. Ich weiß auch nicht mehr, ob die Flasche den Test bestanden hat.

© Josef Peneder 2022-02-14

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