von Sonja M. Winkler
Das sind Mauersegler, sagt A. Die grauschwarzen Vögel ziehen ihre Kreise, unermüdlich. Der Himmel ist blau und wolkenlos.
A. und ich sitzen im Liegestuhl, die Beine hochgelagert. Der Nussbaum an der Mauer spendet Schatten. „Small Great Things“ heißt der Roman, der müde in meinen Schoß gesunken ist. Statt Buchstaben und Wörtern folgen meine Augen der Bahn der Vögel. Sie fliegen so tief, dass der helle Fleck an der Kehle unschwer zu erkennen ist. Ihre Flügel, sie flattern flink, sind gebogen wie eine Sichel. Eine Kolonie von munteren Mauerseglern kreist über A.’s Garten. Null Bock haben sie, ihre Flugbahn zu verändern. Offensichtlich muss sie rund wie ein Kreis sein, mit dem Zirkel gezogen, der Radius, mit Maßband gemessen.
Diese Mauersegler haben keine hochfliegenden Pläne, im Augenblick zumindest nicht, sie scheinen mit ihrer streng abgezirkelten Flugbahn vollends zufrieden. Sie wissen instinktiv, was sie tun müssen, um gerüstet zu sein für die weite Reise, die sie jedes Jahr auf sich nehmen.
Eine Zeitlang geht es so dahin: Nach ein paar Runden lassen sich die Vögel im Geäst des Nussbaums nieder, und die, die dort gesessen und ausgerastet sind, erheben sich mit Flügelflattern und schwingen sich ein in die vorgezeichnete Bahn.
Die im Blattwerk des Baumes Zuflucht suchen, beginnen alsbald eine angeregte Unterhaltung. Ich versuche mich einzuhören in den melodischen Singsang. Aufgebracht klingen sie. Wahrscheinlich macht die Einigung wegen des Abreisedatums Schwierigkeiten. Der Aufenthalt geht dem Ende zu. Es ist August, Zeit, sich für die Rückreise nach Afrika fertigzumachen.
Es dauert nicht lang, da schwirren plötzlich alle Mauersegler auf die Stromleitung zu. Dort sitzen sie wie aufgefädelt. Und ihre Unterhaltung verstummt mit einem Mal.
2020 hat A. den Entschluss gefasst und sich einen Garten zugelegt. Dieser Garten ist sein Paradies. Im April geht’s los, sagt er. Die Hände in den Schoß legen, daran ist nicht zu denken. A. lässt das Paradies daher nie mehr als zwei Tage alleine. Die Pflanzen würden verdursten und Schnecken den Salat auffressen. Die Großstadt schneidet im Vergleich zum Paradies schlecht ab, sagt A. Die Hitze, der Lärm, die Menschen.
Gleich hinter dem Paradies beginnt eine gut ausgeschilderte Wanderroute, der „Weg der Stille“. Wie die zwei Jahre zuvor gehen wir auch diesmal wieder den Rundweg, eine liebgewordene Tradition mit bunten Überraschungen am Wegrand. A. kennt alle Namen der Gewächse, an denen wir vorbeikommen. Im Wald entdecken wir vereinzelt Zyklamen in zartem Lila. Gelb wuchert der robuste Rainfarn, der zu Unrecht Unkraut geschimpft wird. Immerhin vertreibt er lästige Insekten. Der Blutweiderich in der Bachsenke hat dieselbe Farbe wie mein T-Shirt, Magenta.
Ich google das Wort und erfahre, dass der Name zurückgeht auf den Ort Magenta, in der Nähe von Mailand. Bei einer Schlacht soll einst so viel Blut in die Erde gesickert sein, dass sie diese Farbe angenommen hat.
© Sonja M. Winkler 2022-08-05