Max und Moritz‘ Vater

Araldo Campana

von Araldo Campana

Story

Soll ich anrufen oder besser nicht? Hmh, es wäre schon notwendig, so kann das nicht weiter gehen. Ich muss die Eltern bei einem solchen Vorfall informieren. Aber es soll echt arg sein, wenn man dort anruft, haben mich Kolleg*innen gewarnt, den Vater hängt es oft komplett aus, ein Choleriker.

Zögernd greife ich zum Schultelefon und tippe die Nummer ein. Erstes Klingelzeichen, zweites Klingelzeichen. Ich klopfe mit meinem Zeigefinger rhythmisch gegen den Plastikhörer, um mich zu beruhigen. “Ja, Egger”, meldet sich nach sieben Klingelzeichen eine weibliche Stimme. Gott sei Dank, mir fällt ein Stein vom Herzen, die Mutter ist dran. “Guten Tag, Frau Egger”, beginne ich schon etwas selbstsicherer das Gespräch, Campana am Apparat, ich rufe an wegen Max und Moritz.” Frau Egger ist stolze Mutter von Zwillingen, beide haben es wie ihre Namensvettern faustdick hinter den Ohren. Das Herz am rechten Fleck zwar, doch die Hand zu jeder Untat bereit. “Oje, was ist denn schon wieder?”, in ihrer Stimme schwingt ein Hauch von Verdruss.

“Es ist so. Als Max in die Toilette gegangen ist …”, beginne ich zu erklären. “Wer ist denn dran?”, ruft plötzlich eine Männerstimme im Hintergrund. “Die Schule!”, antwortet sie. Ok, denke ich, ich bin die Schule. Auch nicht schlecht, wie im Absolutismus vom Sonnenkönig Ludwig: Der Schule bin ich. “Weeeer?”, schreit wieder der Grobian im Hintergrund und schreckt mich aus meinen historischen Spekulationen. “Die Schuuuule!”, ruft nun auch Frau Egger deutlich lauter. “Was haben’s denn schon wieder, die Arschlöcher?”, will er jetzt wissen. Er scheint näher zu kommen, ich schlucke, die Hand am Hörer beginnt leicht zu zittern. Mein Zeigefinger klopft wieder gegen den Hörer.

“Bitte achten Sie nicht auf das, was mein Mann sagt!”, fleht Frau Egger. “Er meint’s nicht so, er ist einfach nur leicht reizbar”, versucht sie das grobe Verhalten ihres Mannes zu entschuldigen. “Passt schon, ich bin Lehrer, hab schon einiges gehört”, versuche ich sie wohl wenig überzeugend zu beschwichtigen. “Also, der Max ist in die Toilette gegangen und hat …”

“Gib mir mal das Telefon!”, donnert der Befehl des Wüterichs, “denen werd ich mal was erzählen!” “Nein Erich, ich red, ich mach das!”, weist Frau Egger ihren Mann mit einer Bestimmtheit in die Schranken, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. Man hört, wie sich das Raubein maulend verzieht. Mit trockenem Mund kann ich den Vorfall endlich schildern. “Herr Campana, ich werd mit Max reden, das mit der Klobürste und dem Gesicht geht gar nicht”, sichert sie mir Unterstützung zu. Als der Hörer auf dem Telefon liegt, bleibe ich noch ein Weilchen stehen und starre das Gerät an. Bin ich froh, dass ich diesen Anruf hinter mich gebracht habe.

Am Schulschluss richten die Eltern der Klasse von Max und Moritz ein sensationelles Grillfest für Kinder, Eltern und Lehrpersonen aus. Am Grill der Erich, lammfromm, der perfekte Grillmeister.

© Araldo Campana 2021-03-16

Hashtags