Maxwellscher Dämon

Mittag_wie_Frühstück

von Mittag_wie_Frühstück

Story
Schottland 1841

KLICK…KLACK…KLICK…KLACK…KLICK…KLACK…
„Mutter, hörst du bitte mit diesem Geklimper auf? Ich will schlafen!“, gähnte der zehnjährige James Clerk Maxwell, ohne eine Antwort zu erhalten. KLICK…KLACK… „Hast du mir nicht zugehört?“ Maxwell riss seine Augen auf und blickte zur Tür hinüber, wo er seine Mutter erwartete. Doch sein Kinderzimmer stand völlig leer. Niemand, außer ihm, war dort. KLICK…KLACK… Ruhig atmend verfolgte Maxwell die Geräusche, welche ihn unter seine Matratze führten. Ihm wurde angst und bange. Waren die Horrorgeschichten über die menschenfressenden Bettwanzen, die seine Schulfreunde ihm erzählten, wahr gewesen? KLICK…KLACK… Wollte er unter seiner Bettdecke wie ein Feigling sterben? Oder im Kampf wie ein Held? Maxwell entschied sich für den Mittelweg und griff blind unter sein Bettgestell. KLICK…KLACK…KLI… „HEY! Was soll das?“ Tatsächlich hatte er etwas am Schwanz gepackt; und es sprach mit ihm. Sollte Maxwell das, was auch immer er unter seinem Bett angefasst hatte, zurücklegen? Nein! Dafür war der Zug abgefahren. Schweißgebadet holte er ein kleines, gehörntes Untier hervor, welches eine transparente Box in Händen hielt. Ein Dämon!
Dämon: „Noch nie von Privatsphäre gehört?“
Maxwell: „Oh Gott! Was zum Teufel bist du?“
Dämon: „Sein Stellvertreter. Ich arbeite für ihn. Also für den Teufel; nicht für Gott, dem Feind.“
Maxwell: „Was machst du unter meinem Bett?“
Dämon: „Arbeiten. Unter dem Mindestlohn. Mein Boss ist so geizig, er hat mein Büro in dein Zimmer verlegen lassen. Unfassbar, oder?“
Maxwell: „Genau. Ich glaube dir nämlich nicht.“
Dämon: „Wie? Wieso sollte ich dich belügen?“
Maxwell: „Du bist immerhin eine kleine Mythengestalt, der ich skeptisch gegenüberstehe.“
Dämon: „Du erkennst mir meine Glaubwürdigkeit aufgrund meines Aussehens ab? Warum? Haben wir die Zeiten der Diskriminierung von Minderheiten nicht längst hinter uns gelassen?“
Maxwell: „In diesem Jahrhundert noch nicht.“
Dämon: „Zur Hölle mit dir und deiner Familie!“
Maxwell: „Um dir dort Besuch abzustatten?“
Dämon: „Ihr Menschen habt ein komplett falsches Bild von der Hölle. Für uns Dämonen ist sie kein Aufenthaltsort, sondern eine Jobagentur. Sie vermittelt uns passende Berufsstellen.“
Maxwell: „Aha. Worin besteht deine Aufgabe?“
Dämon: „Ich öffne und schließe die Trennwand in der Mitte meiner Box, in der sich Moleküle befinden. Die schnellen Teilchen gehören auf die linke Seite, die langsamen auf die rechte.“
Maxwell: „Warte… Hörst du das, was ich höre?“
Dämon: „Nein, momentan höre ich gar keinen.“
Maxwell: „Exakt! Denn das sind eben die Leute, die sich für deinen Beruf interessieren.“
Dämon: „Bitte? Ich verstoße gegen die obersten Regeln, die existieren; gegen die Naturgesetze.“
Maxwell: „Kein Schimmer, wovon du sprichst.“
Dämon: „Stimmt. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird erst 1850 von Rudolf Clausius entwickelt. Trotzdem: Ich bin der theoretische Beweis für die Nichteinhaltung eines naturwissenschaftlichen Grundsatzes. Teuflisch, Gott dadurch an der Nase herumzuführen!“
Maxwell: „Irgendwie tust du mir leid. Trotz niedrigstem Gehalt und ebenso geringer Erfolgschancen arbeitest du für den Verwalter einer gewaltigen Organisation, der sich allein deiner Ergebnisse bemächtigen will und dich hierfür ausnutzt. Du konzentrierst dich auf ein kleines Werk, in der reinen Hoffnung, auf eine Goldmine zu stoßen, um einen Schritt gegen Gott und somit auch einen Schritt in Richtung Fortschritt zu wagen. Erbärmlich! So, wie du, werde ich nie enden!“ Maxwell wurde Physiker.

© Mittag_wie_Frühstück 2024-06-18

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch, Informativ