von Rebekka Görtler
Ich habe den Beweis: Hexen gibt es tatsächlich! Vielleicht ohne Besen oder Zauberhut, dennoch leben sie getarnt als humane Wesen mitten unter uns. Sie sind selten liebenswürdig wie Bibi Blocksberg, haben aber auch nicht immer eine Warze auf der Nase. Von wem ich also spreche? Na klar, von meiner Sportlehrerin Frau Kaib.
„Mensch, was ist denn das schon wieder?“, schreit sie wütend. „Du siehst aus wie ein dickes Nilpferd! Los, weiter! Streng dich gefälligst an!“
Ich verdrehe heimlich die Augen und jogge dann wieder los. Es ist der Tag der Notenvergabe im Dauerlauf. Ein perfekter Tag: Mitte Juli. Zweiunddreißig Grad. Was kann es da Schöneres geben, als in der prallen Sonne seine Runden zu drehen? „Schneller!“ Und ich vergaß: Dabei von seiner Lehrerin angekeift zu werden?
Um das zu klären: Ich liebe Sport. Tanzen, schwimmen, spazieren, Kampfsport? Ja. Sinnlos und stupide in der Hitze herumrennen? Nein. Couchpotatoes sagen: Sport ist Mord. Ich sage: Kommt Sport, folgt Mord. So viele Szenarien sind in meinem Kopf, wie ich Frau Kaib ermorden könnte. Keines habe ich bis jetzt davon durchgeführt, doch ich will für die Zukunft nichts versprechen.
„Ach, auch schon da?“
Verschwitzt und röchelnd komme ich nach vier Kilometern wieder bei Frau Kaib an. Meine Lunge rasselt wie Geisterketten und ich glaube, ich muss gleich kotzen. Doch ein Blick auf die Stoppuhr: 09:47 min. Nicht schlecht, denke ich.
Frau Kaib denkt da aber anders. „Wirklich, wirklich furchtbar. Dein Laufstil, deine Kondition. Alles eine reine Katastrophe.“ Sie stemmt die Hände in die Seiten. „Sag mal, machst du in deiner Freizeit denn überhaupt Sport?“
„Ja, seit zehn Jahren Taekwondo“, murmle ich zerknirscht, aber das hört Frau Kaib gar nicht. Ich hätte große Lust, ihr mit einem gezielten Schlag eine Rippe zu brechen. Keine Frage, dass ich das könnte.
„Du frisst doch bestimmt auch immer nur bei McDonalds, oder?“ Frau Kaib wirft ihre Haare zurück. „Bei deiner Elefantenwampe. Ein Besuch bei McFit würde dir nicht schaden.“ Ich schweige nur und lasse mich von oben bis unten mustern. „Oder kauf dir lieber gleich eine Zehnerkarte.“ Sie schaut auf ihre Liste und ich fühle mich wie im Finale von Germany’s Next Topmodel: Bewertet von einer gehässigen Blondine. „Ein Punkt“, sagt Frau Kaib. „Mehr kann ich dir nicht geben.“ Sie versucht zu lächeln. „Aber ich bin ja kein Unmensch. Nächste Woche wirst du noch einmal joggen. Nutze die Chance gefälligst!“
Dann darf ich gehen. Auf dem Weg zurück komme ich an einer Eisdiele vorbei. Eine Kugel: Ein Euro. Ich grinse grimmig auf Stracciatella, Schokolade und Erdbeere hinab.
Ein Punkt vs einen Euro? Vielleicht entscheide ich mich nächste Woche ja doch für die andere Eins…
© Rebekka Görtler 2022-08-08