MCS Usambara – Kaffee am Haken

Josef_Raben

von Josef_Raben

Story
Westafrika

„Wer möchte denn vielleicht etwas eher wieder an Bord gehen?“ Die Personalchefin der Reederei Deutsche Afrika-Linien war von Hamburg extra nach Elsfleth gekommen, um die angehenden Schiffsmechaniker der DAL im Berufsschulunterricht zu besuchen. Der 22.12.1983 war nicht nur zwei Tage vor Heiligabend, sondern auch der letzte Tag des Schulzeit-Blocks. Ich meldete mich. „Etwas eher“ an Bord zu gehen stellte sich allerdings anders dar, als ich gedacht hatte. Ich sollte schon am 23. Dezember in Rotterdam auf der „Usambara” einsteigen, einem nagelneuen Containerschiff von 20.000 Tonnen mit eigenen Bordkränen. Quasi augenblicklich fuhr ich nach Hause und teilte meiner Mutter mit, dass Weihnachten ohne mich stattfinden musste. Sie war enttäuscht, denn schon im letzten Jahr war ich an Heiligabend auf See gewesen. Tränen flossen, aber eher mit den praktischen Aspekten der notwendigen Reisevorbereitungen befasst, hatte ich dafür keine rechte Antenne. Am nächsten Tag ging es mit Zug und Flug nach Rotterdam, wo das Schiff an der Pier lag. Die Usambara legte noch am selben Nachmittag mit Ziel Westafrika ab. Der Heiligabend und die beiden Weihnachtsfeiertage vergingen wie im Fluge. Der Alltag an Bord nahm langsam seinen gewohnten Lauf. In Höhe der Kanaren wurde es schnell wärmer und bald erreichten wir mit Dakar den ersten afrikanischen Hafen.

Die weitere Reiseroute folgte der Küste über zahlreiche Häfen bis hinunter nach Port Harcourt. In den meisten dieser Häfen gab es keine landseitigen Kräne, die für den Container-Umschlag geeignet waren. Daher musste man das Laden und Löschen mit dem bordeigenen Ladegeschirr erledigen. Das Koordinatenkreuz der Container-Staupläne – BAY, ROW und TIER – ging mir bald in Fleisch und Blut über. Ich lernte das Kranfahren und den „Spreader“ zu bedienen. Der Stahlrahmen zum Anschlagen der Container verfügt über hydraulische Fangarme, sog. Flipper, und wurde mit einer zentralen Rotationseinheit am Kran angeschlagen. Das Kunststück war, den Spreader mithilfe der Flipper möglichst schnell auf den Container zu bringen und dann zu verriegeln. Um die zwanzig der stählernen Kästen wurden so pro Stunde verladen. Besonders heikel war das Absetzen der tonnenschweren Container von Bord auf die wartenden LKW-Sattelzüge an der Pier. Das brauchte schon viel Fingerspitzengefühl, sonst war so ein LKW schnell erledigt. Mancher half mit dem Rauchen von Marihuana nach, um eine ruhigere Hand zu bekommen. Tage- und vor allem nächtelang wurden so Kaffee, Kakao oder Holz geladen.

Einen Schockmoment erlebte ich beim Umsetzen eines Ponton-Lukendeckels. Das eigentlich neuwertige Stahlseil begann im Schwenken des Krans zu reißen; binnen Sekunden lösten sich Teile des Drahtes und peitschten wild schlagend im Kreis. Die Leute an Deck sprangen zur Seite. Gerade noch so konnte ich den tonnenschweren Deckel wieder absetzen. Falsches Fett hatte den Draht in der Seeluft unbemerkt korrodieren lassen und beinahe eine Katastrophe herbeigeführt.

Die weitere Reise verlief ohne besondere Vorkommnisse, bis wir schließlich Nigeria erreichten und damit auch Lagos, den gefährlichsten Hafen der Welt.

© Josef_Raben 2023-12-22

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Reise
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Abenteuerlich, Informativ
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