Mea maxima culpa

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

„Wie weit Scherben spritzen!“, stelle ich missmutig fest, als ich die Überreste vom Spiegel und Alexa auf die Schippe kehre und alles prasselnd zusammensauge. Ich schnaube – von meinem Ausbruch überrascht – laut aus, als ich mich an die Anrichte lehne, die Arme verschränke und auf den leeren Spiegelrahmen starre. Was nur, was ist es, was in meinem Schädel so arbeitet, was mein Herz so aufwühlt?

Und mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich muss gestehen, was jetzt folgt, ist schwerlich zu verstehen, wenn man nicht grad in einer weißen “Hab-mich-lieb-Jacke” in einer Gummizelle wippend hockt. Weil ich mir selbst verboten hab, an Lydia zu denken, mir den Schädel zu zerbrechen, ob sie mich liebte bis zu ihrem Tod, und Stund um Stund darüber quälend grübelte, wieso sie sich nie meldete und mir nicht sagen konnte: “Ich hab dich lieb. Du fehlst mir so.”, da wird mir klar: Ich denke es die ganze Zeit. Allein, mit ganzer schizoider Kraft, als hätt ich zwei Verstande, einer schmerzlich an sie denkend und tausend Möglichkeiten spielend, der an’dre aber wütend, laut und brüllend ganz was and’res denkend, mich in die Irre führend, weg von ihr und alles überlagernd, wird mir klar: Das ist der Grund, wieso ich wütend bin. Weil ich mich selbst betrüge. Weil ich mich narre, weil mein Verstand was machen soll, was er nicht machen kann und daran scheitert. Ich seufze, und ich flüstre leise: “Jetzt ist es klar – Ich bin verrückt.”

Anja erzählte mir einmal ungeschönt, was auf einem Luxus-Liner so ablief zwischen den Crew-Leuten. Körperlich. Ein wildes Treiben – jeder mit jedem. Eine derbe Erzählung, die ich nicht genießen konnte. Auch Lydia arbeitete mal am Schiff. Und ich sperre mich gegen den Gedanken, dass auch sie… Sie selbst hat mir noch berichtet, wie sie nach unserer Trennung über die Stränge geschlagen hat, wohl um den Schmerz nicht zu fühlen. Ich weiß noch, wie weh mir ihre Schilderung tat. Doch ich hörte es mir schweigend an. Das hatte ich verdient. Das war ich ihr schuldig, dass sie mir wehtun durfte. Es ist heut noch schmerzhaft, sie so zu denken. Saufend, fickend, verzweifelt, zutiefst verletzt. Meinetwegen.

Lydia war, wie ich, im Grunde ein zutiefst sanfter, stiller Mensch. Beide haben wir seitenlang hingeschrieben, was uns im Herzen beschäftigte. Und mich beschäftigt der Gedanke, dass sie sich damals bestimmt noch lange alles von der Seele geschrieben hat, was uns betraf. Irgendwo zwischen womöglich hunderten Seiten in ihren Hinterlassenschaften muss die Wahrheit sein, nach der ich mich verzehre. Irgendwo steht, warum sie sich nicht gemeldet hat. Irgendwo steht, ob sie mich noch liebte. In Lydias Zeilen liegt meine Erlösung, die geringe Chance, dass sie mir erlaubt hat, mir zu verzeihen, was ich ihr angetan habe, als ich sie verließ.

Es gibt sie, ihre Vergebung, meine Erlösung – verloren für immer – in ihren Zeilen. Ich werde sie niemals lesen können. Und darum bin ich verzweifelt, hilflos, wütend.Weil ich schuld bleiben muss.

© MISERANDVS 2021-06-02

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