„Deine heutige Darbietung war noch bei weitem nicht gut. Du musst das viel besser machen!“, sagte Ivas Arbeitgeber Josip. Es war Ivas erster Tag ihres Meerjungfrauendaseins in Josips Unternehmen „Seatours”. Sie hatte sich gefreut, diesen, wie sie meinte, originellen Job zu ergattern und stellte sich vor, dass er ihr großen Spaß machen würde: weil sie es liebte, im Meer zu schwimmen; und weil sie sehr gerne hübsch aussah und für Fotos posierte.
Natürlich war sie aufgeregt gewesen, am Morgen dieses ersten Tages: Würde sie alles richtig machen? Sie hatte sich den Ablauf eingeprägt: Wenn das U-Boot-ähnliche Boot ankerte, sollte sie sehr schnell den in allen Regenbogenfarben schillernden Fischschwanz überziehen und sich aus der kleinen Luke unten am Boot ins Wasser gleiten lassen. Dann einmal auf der einen Seite des Bootes vorbeischwimmen und den Kindern und anderen Fahrgästen zuwinken; sich dabei möglichst viel Zeit lassen, damit diese fotografieren konnten. Anschließend unter dem Boot durchtauchen und sich auf der anderen Seite zeigen. Das schien nicht allzu schwierig zu sein. Iva war eine sehr gute Schwimmerin. Aber beileibe keine Apnoetaucherin, die viele Minuten ohne Luft zu holen unter Wasser bleiben kann. Auch war sie nicht gewohnt, im Salzwasser die Augen längere Zeit offen zuhalten. Der Fischschwanz stellte ebenfalls ein Problem dar: So wirklich geübt war sie noch nicht, im Schwimmen mit ihm. Und die Temperatur des Wassers um diese Jahreszeit: Vor der Sommersonnwende war das Meer immer noch relativ kühl. „Morgen will ich nicht mehr diesen verkniffenen Gesichtsausdruck! Diesen verzweifelten, gestressten!“, sagte Josip. „Lächeln. Entspannt schwimmen! Präg‘ dir das ein! Das war heute echt schwach!“ Iva hätte, nach diesen Worten, den Job am liebsten sogleich wieder an den Nagel gehängt. Dazu war sie aber viel zu stolz So schnell würde sie diesmal nicht klein beigeben!
„Meerjungfrau? Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, Iva!“, hatte ihre Mutter gemeint, als Iva ihr von dem neuen Job erzählt hatte. „Du kommst wirklich vom Regen in die Traufe! Das ist doch schon wieder kein anständiger Job! Eine Nebenbeschäftigung, in der Hauptsaison vielleicht! Von so was kannst du nicht leben! In deinem Alter hab ich schon fünf volle Arbeitsjahre hinter mir gehabt, und du …“ Iva hatte die folgenden Worte nicht mehr gehört. ‘Ich will endlich ausziehen, zu Hause!’, hatte sie gedacht. ‘Und ich schaffe das!’, sagte sie sich, trotzig. Dann grübelte sie darüber nach, dass Josip alles Trinkgeld eingestreift hatte. Eigentlich hatte er ihr zuvor gesagt, dass sie, mit den Trinkgeldern, insgesamt auf einen passablen Lohn kommen würde … Aber sie wollte nun nicht mehr darüber nachdenken. ‘Morgen mache ich es besser!’, nahm sie sich vor. ‘Morgen strahle ich. Und dann gibt es noch mehr Trinkgeld. Er wird mir dann schon meinen Anteil abgeben!’
© Roswitha Springschitz 2022-11-01