Meermond

Alina Malinova

von Alina Malinova

Story

Grischa ist wieder zu einer seiner nächtlichen Touren aufgebrochen. Ohne mich, ich kann mir schon denken, weshalb er mich nicht dabei haben wollte. Die Stadt ist groß und voller Erleben. Ob du es willst oder nicht. Aber auch das muss ich niemandem sagen. Der Mond lächelt, Mona Lisa gleich, geheimnisvoll. Tiia also soll seine Neue heißen. Grischa wird sie wohl in einem der Clubs aufgerissen haben. Oder sie ihn. Einerlei. Und jetzt dreht sich alles um die Göre. Tiia also, dieses blöde Ding würde ich am liebsten auf jenen Himmelskörper in den Wolken schießen. In einer rostigen, alten Rakete, ohne irgendwas; genau so, wie sie wohl am liebsten mit Grischa wäre (ist?). Aber stopp, dann kommen die Chinesen, sie von dort zu retten. Oder noch schlimmer, die Amerikaner. Diese Zuckerpuppe wollte doch schon immer dorthin gehen. Hollywood. Was für eine Bilderbuchkarriere: das Mädchen vom Mond. Netflix. Und ich hätte sie auf die Erfolgsleiter gehoben! Also besser nicht. Der Mond soll nur mir gehören! Wenn ich in ihn hinein träumen möchte, weine … oder er mein Licht ist auf dem Weg im Dunkeln. Warum muss dieses Ding auch ausgerechnet meinem Grischa den Kopf verdrehen? Etwa weil er ein harter Kerl von der Straße ist, interessant, eben anders als ihr geordnetes Leben? Er perfekt ist? (Oder fast perfekt.) Weil … Warum muss das ausgerechnet mir passieren?! Grischa meinen Freund, Leitstern. (Obwohl er mich jetzt sitzen lässt, mich viel zu oft schlug, mich eiskalt einsperrte!) Nicht weil er besser ist als die anderen, schöner, mich gern hat (hatte?) oder sonst was. Nein, auch nicht, weil er klug ist, besonders lieb, sogar zärtlich. (Das ist er bestimmt nicht.) Weil er stark ist und seine Meinung etwas gilt in der Gruppe. Denn mein Wort gilt wenig; bin ich doch nur ein Mädchen und brauche eine starke Hand an meiner Seite – jedes Mädchen braucht sie allein auf der Straße. Und so haben wir einen Deal geschlossen: Er darf mit mir machen, was er will, und dafür kein anderer. Schön ist das nicht, aber so ist es besser. Punkt. Und wenn das jetzt einfach klingt, leider ist es oft schwierig. Etwa, wenn andere meinen, mich auch haben zu wollen, mir heimlich (manchmal sogar offen) nachstellen oder Grischa sich einbildet, ich schielte nach andren. Dann gibt es Ärger. Weniger für die Jungs. Für wen wohl? Und ihm klarzumachen, dass ich nicht nach anderen Männern schaue, ist gar nicht einfach. So sprechen Arme und Fäuste; nicht nur blaue Flecken, Veilchenaugen. Wie schwer das alles zu ertragen ist, will ich nicht sagen. Und doch, ich bin ihm nicht böse, ist er doch besser als andere. Grischa und ich. Ich glaube, wir leben ganz gut miteinander (wirklich?): Jeder bekommt das, was er will und braucht. Manchmal kann ich ihm jetzt sogar schon „Stopp, heute geht nicht“ sagen, dann brummt, doch versteht er. Was brauche ich mehr von einem Freund im Leben? Ja, und immer öfter macht es uns sogar Freude, dass wir uns haben. Dann geht er mit stolz geblähter Brust durch die Straßen, ein gewiss nicht ganz zu übersehendes Mädchen an seiner Seite; und ich, ich genieße es, zu ihm gehören zu dürfen, zu gehören. Er soll nur nicht mit mir spielen. Niemals.

Kalt lächelt der Mond aus den Wolken. Fahles weißes Licht, das sich über Himmel und Meer ausbreitet. Meermond. Wie weit ist unsere Welt nur geworden. Wie eng. Ich hasse Tiia. Auch Grischa?


© Alina Malinova 2024-09-27

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional
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