Mehr gab es nicht. Damals. Ich höre Namen der jüngeren Geschichte. Ausgesprochen von der Stimme meiner Großmutter.
Meine Großmutter ist vor 17 Jahren gestorben. Sie wusste nicht mehr, wer ich bin. Ihre Augen jedoch strahlten, als sie meinen kleinen Sohn in den Armen hielt. Sie waren eingehüllt in eine Zeitwolke, zu der ich keinen Zutritt hatte.
Für mich hieß sie Omamutter. Den Namen hat ihr mein Cousin gegeben. Lange, bevor ich geboren wurde. Omamutter – ein anderes Wort für Angenommen sein.
Als meine Oma 90 Jahre alt war, hat sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben und auf Tonband gesprochen. Für ihre Kinder und Enkel. Letzten Samstag habe ich ihre Stimme über Erlebnisse sprechen hören, über die ich sie zu Lebzeiten nie reden gehört habe. Erlebte, gesprochene Zeitgeschichte.
Ich erinnere mich an die Wärme ihrer Stimme. Ich höre die Milde ihrer Worte. Ich kann noch heute die Zuneigung schmecken, die in jedem Bissen steckte, den sie kochte. Ihre selbst gestrickten Socken wärmen noch heute Füße.
Ihr Heferl, aus dem sie immer ihren Frühstückskaffee getrunken hat, steht jetzt in meiner Küche. Es ist älter, als ich alt bin. Es hat einen Sprung. Und einen noch zart erkennbaren Goldrand.
Mehr gab es nicht. Damals, als meine Oma in eine andere Welt gewechselt ist. Vererbtes Leben. Gelebte Erinnerung.
© Martina Wolf-Minich 2022-04-29