Mein Corona-Tagebuch

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Gestern habe ich begonnen, ein Corona-Tagebuch zu schreiben. Es ist wichtig, mit der Situation möglichst gut umzugehen und da tut es gut, über persönliche Dinge zu schreiben und all das in Worte zu fassen, das in dieser schwierigen Zeit durchlebt, durchlitten und im Kopf manifestiert wird. Regelmäßig ein Tagebuch zu schreiben hat auch eine reinigende Funktion. Die Dinge werden klarer, und es kann sogar ein Stück weit beruhigen. Dadurch entsteht ein neuer Raum, in dem sich das eigene Leben entfaltet. Die Menschen, mit denen ich innig verbunden bin, sind Teil dieses Raumes.

Ich habe das Gefühl einer stärkeren Lebensintensität. Und wenn ich jene Gedanken aufschreibe, die mich besonders beschäftigen, kann dies – und das ist das Entscheidende! – auch eine therapeutische Funktion haben.

Als ich vor über 30 Jahren damit begonnen habe, literarisch zu schreiben, war dies vorwiegend, um meine Seele von Ballast zu befreien. Ich wollte mir irgendwie Luft machen, aus dem Käfig ausbrechen, in dem ich glaubte zu stecken. Heute weiß ich, dass es diesen Käfig gar nicht gibt. Doch mir einfach etwas von der Seele zu schreiben, das mich in dieser schwierigen Zeit beschäftigt, ist der wichtigste Aspekt meines Corona-Tagebuchs. In früheren Zeiten wurden Tagebücher ja vorwiegend mit der Hand geschrieben und oft sogar mit einem kleinen Schloss abgesperrt. Nur der Tagebuchschreiber selbst sollte Zugang zu seinem Tagebuch haben, niemand sonst! Nun, es gibt Tagebücher, etwa jene von Max Frisch und Franz Kafka, die veröffentlicht wurden. Jene von Franz Kafka sind teilweise sehr persönlich, und es stellt sich die Frage, ob er tatsächlich die Veröffentlichung nach seinem Tod befürwortet hat. Max Frisch hat seine Tagebücher im Bewusstsein geschrieben, dass sie veröffentlicht werden, was sicher ein ungewöhnlicher Zugang ist.

Mein Corona-Tagebuch ist ein ganz Klassisches. Ich habe zwar kein abgesperrtes Schloss, mit dem ich es vor anderen Blicken schützen kann, aber ich schreibe es ausschließlich für mich selbst. Und ich bin der Auffassung, dass das Schreiben eines Tagebuchs angesichts von Corona vielen Menschen gut tun würde. Sich einfach von der Seele schreiben, was einen in dieser Zeit beschäftigt. Es ist dann für einen selbst sicher eine erstaunliche Erfahrung, dann irgendwann zurück zu blicken und zu lesen, was man so geschrieben hat. Dieses Tagebuch wäre eine Erinnerung daran, wie man angesichts einer Pandemie gedacht und agiert hat. Denn eines ist klar: Es gibt ein Leben nach Corona und dieses Virus wird dann ein Bestandteil unserer Lebensgeschichte sein. Ich habe meine Entscheidung, ein Corona-Tagebuch zu schreiben, spontan getroffen. Ich weiß nicht, ob ich jeden Tag einen Eintrag mache. Aber ich weiß, dass es gut tut, mir angesichts von Corona etwas von der Seele zu schreiben. Und ich bin mir sicher, nicht der Einzige zu sein, der dies tut. Vielleicht kann ich andere Menschen inspirieren, es auch zu versuchen.

© Jürgen Heimlich 2020-03-18

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