Mein Engel

Anita Zöhrer

von Anita Zöhrer

Story

„Mein Kind, ich liebe dich!“, flĂŒstert eine Stimme leise mir zu und ich schließe meine Augen. Getaucht im Lichte der Kerzen versenke ich mich in der Stille der Kirche in die mich umfangende Gegenwart.

Ein Sturm zieht auf. Wie aus dem Nichts blÀst er mir entgegen und bringt mich ins Wanken.

„Halt dich fest!“ Im Flackern der Lichter erscheint mein geliebter Engel und schließt mich in seine Arme. Wie gut er mir tut! Wie sicher ich mich bei ihm fĂŒhle. Ich verliere mich in seinen Augen, seiner reinen und kostbaren Seele, und weiß doch um die VergĂ€nglichkeit unserer Beziehung.

„Mein Kind, wo bleibst du?“ Die TĂŒren der Ikonostase öffnen sich. Anmutig schreitet ein Priester aus dieser hervor und streckt seine Hand nach mir aus.

„Komm!“ Nicht die Stimme des Priesters ist es, die mich ruft. Es ist die Stimme dessen, dem in Treue er dient. Fest umschlungen drĂŒckt mein Engel mich an sich. Mit aller Kraft stoße ich ihn von mir weg. Heftiger wird der Sturm und entfacht ein Flammenmeer.

Nicht verstehen kann mein Engel meine Tat und versucht, wieder zu mir zu gelangen. Blut tritt aus seiner Seite, seinem wunden Herzen, und er leidet. Trotzdem kĂ€mpft er weiter um mich. Ich wende mich von ihm ab; nehme seine MĂŒhe um mich nicht weiter an. Entschieden habe ich mich fĂŒr einen anderen. Entschieden mich gegen ihn.

„Warte“, höre ich ihn rufen, doch will ich ihn ignorieren, „bitte!“

„Verschwinde!“ Scharf wie ein Schwert ist mein hartes Wort und durchbohrt sein Inneres. Ich fĂŒhle seinen Schmerz und weigere mich doch, zu ihm zurĂŒckzukehren.

„Aber ich liebe dich!“

In der sengenden Hitze des Feuers zerspringt mein eisiges Herz und ich falle zu Boden. Ich liebe meinen Engel doch auch und wie sehr ich ihn liebe! FĂŒr immer festhalten möchte ich ihn, als er sich neben mich kniet und sich ĂŒber mich beugt.

„Bleib bei mir!“, flehe ich ihn an und lege meine Hand auf seine Wange. Kaum noch spĂŒren kann ich ihn. Zu spĂ€t ist es, um unsere Liebe zu retten.

„Ich liebe dich“, lĂ€chelt er mir zu und seine TrĂ€nen tropfen auf mein Gesicht. KĂŒhlung verschaffen sie mir, Linderung gegen den Schmerz.

„Mein Kind, ich liebe dich!“, flĂŒstert die Stimme mir neuerlich zu und ich ziehe meinen Engel an mich. Mein Herz klammert sich an ihn, will ihn nicht mehr gehen lassen. Keine Wahl lĂ€sst ihm das Feuer. Immer nĂ€her rĂŒcken die Flammen und nehmen mir meinen Engel hinweg. Liebevoll ist sein Blick, als er mir entschwindet. Nicht glauben kann ich, was ich getan habe.


© Anita Zöhrer 2024-05-16

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Emotional, Traurig
Hashtags