Mein erster Arbeitstag

Agnes Hämmerle

von Agnes Hämmerle

Story

Ich weiß bis heute noch nicht, wieso ich mich ausgerechnet für einen Einblick beim Bestatter entschieden habe. Eigentlich habe ich etwas ganz anderes studiert und bin im Zuge des ersten Corona-Sommers auf berufliche Abwege geraten. Und geblieben.

Mein erster Tag sollte so werden, wie man es sich beim Bestatter vorstellt. Manfred, mein Chef, und Gregor, ein Mitarbeiter, sollen eine Verstorbene zu Hause abholen und ich darf mit. Bei Abholungen zu Hause müssen meist die Bestatter die Verstorbenen noch umziehen. Ohne pietätlos wirken zu wollen: Theoretisch verstehe ich das ja, dass man die Oma nicht im Pyjama „aus dem Haus lassen“ will. Es werden ihr dann quasi die Sonntagskleider angezogen. Für eine abschließende Verabschiedung der Hinterbliebenen zwar verständlich, aber: Die allermeisten Verstorbenen werden eh verbrannt. Da macht doch die weiße Bluse auch keinen Unterschied mehr? Das Anziehen der Leiche macht mir eigentlich nichts aus, nur hat manchmal die Leichenstarre bereits eingesetzt und der Körper ist sehr hart und die Muskeln kaum zu bewegen. Gregor und Manfred müssen zuerst eine Runde dehnen. Es sieht aus wie Gymnastikübungen mit der Frau. Wie ich im Laufe des Praktikums feststelle, kann die Leichenstarre sehr hartnäckig sein und ich muss in diesen Fällen meine gesamte Muskelkraft einsetzen, um sie zu lösen. Theoretisch ist es auch möglich, dass man dabei jemandem die Schulter auskugelt.

Gedehnt werden müssen die Ellenbogen und die Schulterpartie, das reicht dann auch schon. So kann man alle Kleidungsstücke würdevoll anziehen. Die größte Herausforderung besteht aber darin, den Geruchssinn auszuschalten, was natürlich nicht geht. Ich positioniere mich in sicherer Entfernung, sehe aber auch schon die Fliegen, die durch das offene Fenster hereinkommen. Die Frau ist noch nicht lange tot, aber es ist Sommer und ich werde in den kommenden Wochen sehr schnell lernen, wie schnell Verwesung vonstatten gehen kann. Zusätzlich liegt Kot auf dem Bett und klebt an ihren Beinen, ein gefundenes Fressen für die Insekten. Es stinkt wirklich sehr stark. Es erinnert mich an eine Bahnhofstoilette und ich bin froh, mich auf dem Fluchtweg positioniert zu haben.

Nachdem Manfred und Gregor die Frau angezogen haben, betten sie sie in den Sarg, tragen diesen zum Auto und ab geht’s zur Kühlung. Dann wartet auch schon eine weitere Person im Altersheim. Das sei harmlos, deshalb machen das nur Manfred und ich. Und tatsächlich: Ich lebe noch. Es ist auch relativ unspektakulär. Wobei ich natürlich nur den harmlosen und leichteren Teil übernehme, nämlich die Füße. Und sobald der Sarg einmal geschlossen ist und auf dem Rollwagen steht, fühlt man sich wie beim Einkaufen mit einem überdimensional großen Einkaufswagen. Den Sarg müssen wir nur tragen, wenn wir ihn in das Auto heben oder vom Auto auf so einen Rollkarren stellen. Den Rest des Weges legen wir dann rollend zurück, was in einem Altersheim gut geht.

© Agnes Hämmerle 2022-08-19

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