von Christina Glück
Ich war 16 Jahre alt. Meine Oma schenkte mir eine gemeinsame Musicalfahrt zu einer Vorstellung des „Phantoms der Oper“ im Theater an der Wien. Mit einem Reisebus ihres eigenen Busunternehmens fuhren wir am 18. Februar 1989 zu der Aufführung und danach wieder retour nach Neunkirchen. Meine Erwartungen waren nicht allzu hoch, weil ich dachte, vom Titel beeinflusst, dass das Stück in Richtung Oper gehen würde.
Was jetzt kommt, ist frei von jeder Objektivität. Dieser Abend im Februar hatte etwas Magisches. Es war als wäre ich in einen Meeresstrudel geraten, dessen Sog mich gepackt, durchgewirbelt und irgendwann wieder ausgespuckt hatte. Mit einem Wort: ich bin voll reingekippt! Gänsehaut 2,5 Stunden lang. Die Handlung hat mich in ihren Bann gezogen und die Geschichte des Phantoms zutiefst berührt. Die Musik hatte mich sowieso von der ersten Sekunde an gepackt. Den nachhaltigsten Eindruck machte auf mich die beeindruckende Darstellung von Alexander Goebel, die mich zum Weinen brachte.
Es war die Geburtsstunde meiner Faszination und Begeisterung für das Genre „Musical“. Was mir von der Rückfahrt im Bus noch gegenwärtig ist, ist, dass mir die ganze Zeit zum Heulen war, so ergriffen war ich.
Das Doppelalbum mit der deutschsprachigen Gesamtaufnahme war schnell gekauft. Das Musical wurde rauf und runter gespielt, in meinem Kinderzimmer, im Wohnzimmer, im Auto, im Ferienhaus … ich weiß, dass ich vor allem meinen Bruder damit nervte. Aber was sollte ich machen, ich war süchtig nach diesem Stück, nach dieser Geschichte, nach Goebels genial-irrer sehnsuchtstriefender Interpretation, nach dieser perfekten Partitur.
Für mich war die Vorstellung am 18.2. ein einmaliges Erlebnis, irgendwann jedoch wurde mir bewusst, dass sich JEDEN Abend der Vorhang im Theater an der Wien hob. Diese Erkenntnis hatte zur Folge, dass ich um Punkt 19:30 Uhr in meinem Zimmer die Platte aufgelegt hatte und mitdirigierte.
1991 zog ich nach Wien in den 15. Bezirk. Das „Phantom der Oper“ übersiedelte mittlerweile vom Theater an der Wien ins Raimundtheater und – wie unangenehm – befand sich meine Wohnung 5 Gehminuten vom Raimundtheater entfernt. Ich bin nicht stolz darauf, und ich weiß, dass es nicht legal war. Aber ich entwickelte eine Strategie, mich in das Theater einzuschleusen und mir auf diese Weise ohne Ticket unzählige zweite Akte anzusehen. Mit dem Programmheft bewappnet schmuggelte ich mich während der Vorstellungspause, von der ich natürlich genau wusste, wann sie war, ins Raimundtheater. Von den Billeteuren unbemerkt ging ich in den 2. Rang hinauf zu den Stehplätzen. Es gab eine Zeit, vor allem im Sommer, in der die Vorstellungen nicht ausverkauft waren, und die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, einen Stehplatz oder sogar freien Sitzplatz zu ergattern.
30 Jahre später blicke ich zurück auf viele wundervolle Musicalmomente … Momente zum Lachen, Weinen, Mitfiebern, Träumen, Träumen, Träumen.
© Christina Glück 2020-09-03