von Herbert Nill
Zweimal im Jahr gab es für meine Schwester und mich neues Gewand. Es war Ende August und ich fuhr mit meinen Eltern und meiner Schwester mit dem Zug nach Saalfelden. Zu Fuß ging es zum Candido und Lederer, denn es war Sommer-Schluss-Verkauf. Neben den üblichen Kleidungsstücken gab es diesmal eine Besonderheit für mich, mein erstes Sakko.
Es gefiel mir auf den ersten Blick, es passte und ich zog es auch gleich nicht mehr aus. Mein älterer Bruder bekam mit 13 Jahren zur Firmung seine erste lange Hose, da war ich schon ungleich besser gestellt. Bruder Hermann erzählte oft, dass er jahraus, jahrein immer nur die kurze Lederhose trug, im Winter mit einer langen, weißen Unterhose darunter. Bei der Rückfahrt fühlte ich alle Augen auf mich, vielmehr auf mein neues Sakko, gerichtet.
Am späteren Nachmittag musste ich noch mit einer unserer Ziegen nach St. Anton zum Bock gehen. Es war keine schwierige Aufgabe, denn die Ziege war friedlich und konnte es kaum mehr erwarten, vom Caritasbock, einem der besten Zuchttiere der damaligen Zeit, besprungen zu werden. Weil der Ziegenbock seine Arbeit, oder besser gesagt sein Vergnügen, schnell und offensichtlich erfolgreich verrichtete, konnte ich meine Ziege Susi gleich wieder nach Hause mitnehmen. Außerdem gab es für mich kostenlosen Aufklärungsunterricht.
Am nächsten Morgen saß ich mit meinem neuen Sakko in der Klasse. Keinem meiner Mitschüler schien es aufzufallen, vielmehr reagierten sie eigenartig abweisend. Die Tür flog auf, Lehrer Breitfuß betrat den Raum. Wir schmetterten ihm das allmorgendlich stramm gestandene „Good morning, sir“ entgegen und setzten uns. Anstatt wie üblich sofort ins Klassenbuch einzutragen, rümpfte er die Nase und zischte: “Was riecht hier so streng?“ Wie aus einem Mund dröhnte es in meinen Ohren: „Da Nill stinkt so!“
Das Sakko war nicht mehr zu retten. Weder tagelanges an die frische Luft hängen, noch die chemische Reinigung konnte den Bockgeruch beseitigen. So bekam zwar Susi nach fünf Monaten zwei gesunde Kitze, aber ich musste wieder Jahre auf ein neues Sakko warten.
© Herbert Nill 2019-07-21