Mein Freund, der Feminist

Jane Steinbrecher

von Jane Steinbrecher

Story

Auf der Jetzt-ist-aber-noch-Weihnachten-Feier meiner Schwester am 27. Dezember sind nur ihre Veganer-Freunde, deshalb will ich erst nicht hin. Ich mag den veganen Gedanken und ihre Freunde sind nett, nur nicht auf meiner Wellenlänge, was weniger mit deren Vegansein zu tun hat als mit mir. Ich nenne mich nonchalant; meine Schwester sagt, ich benutze zu viele Kraftausdrücke. Kein Grund also, mich hübsch zu machen, ich komme nur fürs Essen. Ganz unerwartet erscheint ein schöner Mann. Er hat etwas Lauerndes im Blick. Ich wende mein subtiles Verführen an, so subtil, dass ich mich selbst täusche und mir keine Chancen ausrechne, bis ich mit seiner Hand in meiner Hose gegen die Kellertür im Haus meiner Mutter krache.

Sam will mich wiedersehen, aber keine Beziehung. Er hat eine Schublade voller Dinge, die er hasst, weil sie bourgeois sind. Roter Lippenstift, Wein, Händchenhalten oder Spazierengehen. Er ist ein besserer Feminist als ich. Ich erfahre von struktureller Unterdrückung und lerne, dass mein Selbsthass von der Gesellschaft beeinflusst ist. Durch ihn sehe ich, wo ich andere Frauen verurteile und mir damit selbst schade. Er ist der erste Mann, bei dem ich etwas spüre.

Er nennt mich eine Hure, weil ich über 50 Menschen geküsst habe. Zum Geburtstag meiner Schwester will er nicht mit, außer, ich mache alles, was er sagt. Ein Spiel. Er denkt, ich kneife. Ich kneife nicht. Einem Gast schütte ich Gin Tonic in den Schoß. Als ich ihm einen neuen Drink bringe, will er die Gurkenscheibe im Glas behalten: “Ich lass die Gurke drin!” Einen anderen frage ich über Chakra-Energie aus, anderen rufe ich “Verpisst euch endlich!” hinterher. Ich tue alles, um mich von meinem Freund, dem Feministen, zu emanzipieren.

Er will Exklusivität, aber keine Beziehung. Ich gewähre ihm nur eins, also sagt er: “Ich lass die Gurke drin.” Er hat Humor und ein Herz für Tiere. Er fliegt nicht, der Umwelt zuliebe. Ich will ihn Schatz nennen, aber ich soll nicht; ich will von Liebe sprechen, aber “Ich liebe dich” ist bourgeois. Wenn ich ausgehen will, schüttelt Sam den Kopf. “Zu Hause trinken ist billiger.” “Zu Hause erlebt man nichts.” Er versteht nicht, was ich meine. Wenn ich ihn überrede, auszugehen, ruft er: “Du siehst ja aus wie eine Nutte!” Er meint es als Kompliment.

Er will eine Beziehung, aber er hat keine Zeit. Den ganzen Tag versucht er, kritische Artikel lesend, die Welt zu verbessern. “Wenn du nicht lernst, musst du alles auf einmal nachholen und wir sehen uns ewig nicht.” Er versteht nicht, was ich meine. Wochenlang kaum Kontakt, weil er lernen muss. “Wenn du heiraten oder Kinder willst, schieß mich vorher ab”, sagt er. Bourgeois.

Eines Tages kann ich ihn nicht mehr küssen. Er ist zu weit weg. Auch, wenn er direkt neben mir ist. Er weint. “Ich habe dich immer geliebt, ich hoffe, das weißt du. Ich hätte dich geheiratet.“

Zu spät. Aber ich bin froh, dass er mir das gesagt hat. Sam hat mir gezeigt, dass ich mich selbst unterdrücke. Und was ich will. Wein und Händchenhalten.

© Jane Steinbrecher 2022-07-12

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