von Herbert Schieber
Mein Großvater wurde 1899 geboren. Er erlebte beide Weltkriege, verlor aber nie ein Wort darüber. Er sprach ohnehin wenig. Ich kann mich an seine Stimme gar nicht mehr erinnern.
Ich erinnere mich aber, dass er immer schon ein alter Mann war, nur aus Haut und Knochen. Sein Hosenboden war immer auf Halbmast. Die Hauptaufgabe seines Gürtels war es, die lange, warme Unterhose zu halten, die Großvater im Sommer und Winter trug. Dazu trug er noch Hemd, Weste und meist ein etwas speckiges Sakko. Ihm war ständig kalt. Ein kleines Bärtchen zierte seine Oberlippe. Ach ja, und er hatte nur ein Auge und war Lungenkrank. Dennoch paffte er meist selbst gewuzelte Zigaretten.
Früher machten sich Eltern nicht viel Gedanken darüber womit man die Kinder bespaßen könnte. So spielte auch ich mit Freunden oder leistete meinem Großvater Gesellschaft. Er hatte wie jeder in der Familie seine Aufgaben, bei denen ich oft helfen durfte.
Eine seiner Aufgaben war unsere Kaninchenzucht. Die fast hundert Fellbüschel mussten gefüttert und regelmäßig ausgemistet werden. Wenn Großvater seine von ihm frisch gedengelte Sense nahm, um Gras für die Hasen zu mähen, war ich oft dabei um zu helfen dieses zusammen zu rechen. Ich war auch dabei, wenn er Kaninchen für unser Mittagessen vorbereitete.
Großvater war ein feinfühliger Handwerker. Er konnte tischlern, besenbinden, korbflechten, wursten… und alles was er tat, machte er gemächlich! Und schliff er unsere Haushaltsmesser auf seinem selbst gebastelten Schleifbock, war ich der Motor, der mit einer Kurbel den wasserbenetzten Schleifstein gleichmäßig antrieb.
Im Herbst gingen wir oft gemeinsam frühmorgens durch taufrisches Gras um Wiesenchampignons zu suchen. Und ich liebte es auch mit Großvater durch Wald und Wiesen zu unseren Teichen zu marschieren, um ein paar Karpfen zu fischen. Dort hieß es dann, „leise sein, sonst beißen die Fische nicht“. So hockten wir oft Stunden, wo er dann leise aus alten Zeiten erzählte, als er noch Hasen jagte.
Und da gab es noch sein Lebenselixier… den Schnaps. Immer wieder schmiss ihn dieser Teufel um. Mal landete er mit der Ferse im Glas der Balkontür, mal mit der Stirn auf einer Betonkante. Um direkt am Brunnen seines Glücks zu sitzen, richtete er sich sogar eine kleine mobile Schnapsbrennerei ein.
Egal in welcher Situation man in traf, er war immer ein friedliebender Mensch. Wenn er mal wieder zu tief ins Glas schaute, legte er sich, wie auch sonst beim Schlafen gehen, mit seiner warmen Unterhose und Hemd ins Bett. Er schlief immer mit dem Rücken auf seinem großen Polster, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, reglos bis zum Aufwachen. Und genau so fand ihn auch Großmutter eines Morgens, als er friedlich für immer eingeschlafen war.
Was war das nur für eine schöne Zeit die ich mit Großvater verbringen durfte. Er zeigte mir, was man alles mit geschickten Händen schaffen kann. Und vor allem zeigte er mir die ruhige Seite des Lebens, die uns heute leider viel zu oft fehlt!
© Herbert Schieber 2019-11-19