Ikigai ist das, wofür es sich zu leben lohnt. Ikigai nennt man die Lebenskunst auf Japanisch und soll der Schlüssel für ein langes, gesundes und erfülltes Leben sein. In Anbetracht der hohen Lebenserwartung der Japaner, muss an der Sache wohl etwas dran sein und ich besorge mir das Buch von Ken Mogi, einem japanischen Neurowissenschaftler und Autor vieler Bücher. Übertragen auf unsere mitteleuropäische Kultur, könnte Ikigai mit Achtsamkeit verglichen werden. Bei eingehender Beschäftigung mit dem Thema erkenne ich indessen, dass doch mehr dahinter steckt und ich erfahre, dass Ikigai nicht nur eine Haltung ist, sondern hauptsächlich mit Disziplin zu tun hat.
Die Japaner zeigten in ihrer langen Geschichte ein großes Talent zur Disziplin, Neugierde und Nachahmung. Dieses Talent befähigte sie, großartige Leistungen, vor allem im Ausland und in erster Linie in China, zu entdecken, zu kopieren und permanent zu perfektionieren. Beispiele sind die Keramik wie auch die japanische Teezeremonie,
Die fünf Säulen von Ikigai sind: „Klein anfangen“, „Loslassen lernen“, „Harmonie und Nachhaltigkeit leben“, „die Freude an kleinen Dingen entdecken“, „Im Hier und Jetzt sein“.
Damit ich mich an diese fünf Säulen annähern kann, stellt mir der Autor zwei weitere Fragen:
„Was hat für mich den höchsten Gefühlswert?“
„Welche kleinen Dinge machen mir Freude?“
Klingt einfach und dennoch hänge ich genau hier fest. Fragen wir uns jetzt einmal ehrlich: Wissen wir, was für uns den höchsten Gefühlswert birgt? Ich war immer der Überzeugung, dass es das Reisen ist. Bin ich auf Reisen, scheint mir, dass ich noch immer nicht den höchsten Gefühlswert erreicht habe. Ist der höchste Gefühlswert nur die Sehnsucht nach dem Reisen? Die Sehnsucht an sich? Sobald sich die Sehnsucht erfüllt, ist man auf irgendeine Weise enttäuscht. Oder kann ich diese erste Frage nur unter Einbeziehung der zweiten beantworten: Welche kleinen Dinge machen mir Freude? Wenn ich gerade jetzt aus meinem Fenster zum Nussbaum in meinem Garten blicke, wie er in seiner satten und grünen Pracht einfach nur IST, freue ich mich. Sind nicht auch beim Reisen diese kurzen Momente des Innehaltens und des Wahrnehmens Freudenmomente? Langsam nähere ich mich dem, was Ken Mogi meint, an. Jeder Mensch sollte sein eigenes Ikigai finden, als Weg zu einem glücklicheren, erfüllteren Leben.
Ikigai ist jener Grund, warum man am Morgen aufsteht. Viktor Frankl entwickelte daraus die Logotherapie. Dem Leben einen Sinn geben.
Szenenwechsel: Es gibt auch Tage, wo ich mich nicht mit diesen tief menschlichen Fragen auseinandersetzen will. Wo ich einfach herrlich oberflächlich sein möchte und mich an trivialen Genüssen erfreue. Meist folgt nach solchen Tagen eine innere Leere, die mich in eine Reflexion zwingt. Da ich keine Heilige bin – noch nicht – muss ich wohl mit dieser Widersprüchlichkeit leben und versuchen mein Ikigai immer wiederzufinden. Beim Schreiben bin ich im Flow – in meinem Ikigai.
© Ingeborg Berta Hofbauer 2022-07-06