Mein Körper gehört mir

Ulrike Puckmayr-Pfeifer

von Ulrike Puckmayr-Pfeifer

Story
Podersdorf am See 1970

Ich war 16, er 24. Es war Sommer. August. Wir lernten uns in der Pusztatenne kennen. Er war mit zwei Freunden auf Urlaub. Aus Frankfurt am Main waren sie an den Neusiedler See gekommen, um die Sonne, den Strand, den Wein und vielleicht auch die Frauen zu genießen. Dolce vita.

Er forderte mich zum Tanzen auf, der blonde, schlanke, gut aussehende Mann aus Deutschland. Wir hörten nicht mehr auf zu tanzen. Es war schön. Ich entschwebte in eine andere Welt.

Meine Mutter kam, um mich nach Hause zu holen. Wir ließen sie warten und tanzten weiter, immer weiter, losgelöst von Raum und Zeit in einem ewigen Jetzt. Die Blicke meiner Mutter trafen mich wie spitze Pfeile, die direkt in meinem Herzen landeten und meinem Tanzvergnügen einen bitteren Geschmack gaben. Ich ließ mich trotzdem von der erotischen Ausstrahlung des jungen Mannes in eine andere Welt tragen.

Er wollte mich wiedersehen. Schon am nächsten Tag. Er habe sich in mich verliebt, gestand er mir. Ob ich auch in ihn verliebt war, konnte ich nicht richtig spüren. Seine Zuwendung tat mir gut. Seine leidenschaftlichen Küsse fühlten sich gut an, seine Berührungen gingen unter die Haut und wärmten meine eisgekühlte Seele. Mit seinem Mercedes fuhr er am nächsten Tag an unserem Haus vor, um mich abzuholen. Meine Mutter ließ mich schweren Herzens gehen. Wir fuhren durch die Landschaft, an Feldern und Weingärten vorbei. Ich war schüchtern und verklemmt. Zum ersten Mal allein mit einem Mann in einem Auto. Er war nicht übergriffig. Er meinte, ich wäre in meinem Elternhaus eingesperrt und er würde mich da herausholen. Er machte nichts, was ich nicht wollte. Seine Zuwendung genoss ich. Er lieferte mich zu Hause wieder unbeschädigt ab. Mit meiner Mutter ging die Fantasie durch. Sie wollte genau wissen, was er mit mir im Auto gemacht habe und löcherte mich. Ich hüllte mich in Schweigen.

In diese Zeit fiel der Anfang eines schmerzhaften Ablösungsprozesses von meiner Mutter, mit der ich symbiotisch verbunden war. Zum ersten Mal schloss ich mich im Badezimmer ein. Bis dahin war es üblich, die Badezimmertür nicht abzusperren. Meine Mutter kam immer wieder hinein, um irgendetwas zu tun. Was, weiß ich nicht mehr. Nun stand sie vor einer verschlossenen Tür und bekam eine Krise. Ich wollte ihr mit aller Deutlichkeit signalisieren: MEIN KÖRPER GEHÖRT MIR.

Am Abend ging ich wieder mit ihm tanzen. Eng umschlungen tanzten wir zu romantischer Musik. An „Je t´aime“ erinnere ich mich noch genau und dass er mir zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Er brachte mich nach Hause. In einer Hausecke standen wir lange küssend Körper an Körper, ehe wir uns voneinander loslösten. Meine erste körperliche Erfahrung mit dem männlichen Geschlecht. Es war aufwühlend schön. Meine Gefühle tanzten einen aufregenden Tanz.

Der junge Mann reiste wieder ab. Noch ein paar Briefe. Ein leicht hineingeschriebenes „Ich liebe dich.“ Ein Foto. Dann die Erinnerung, die immer blasser wurde.

Die Geschichte wurde Vergangenheit.

© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2021-11-01

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Angespannt
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