von Anatolie
Als junges Mädchen war ich davon überzeugt, dass man ein perfektes Aussehen braucht um sich einen Mann zu angeln. Als Magnet galt ein schönes Gesicht. Und was noch wichtiger war, der Körper sollte schlank und sehr geschmeidig sein.
In den 80ern bis hinein in die späten 90er Jahre galt sportlich, braungebrannt und blond als DER Hit. Fast alle Jungs schwärmten für blond. Das tat auch mein erster Freund. Ich habe gar nicht wenige Tränen vergossen, weil ich mich als eher rundlicher, dunkelhaariger Schneewittchentyp wie ein Mauerblümchen fühlte, so unsexy und gar nicht en vogue.
Von klein auf war ich es gewohnt, dass an meinem Körper immer etwas auszusetzen sei. Im Kindergarten riefen sie mich „ausgestopfte Mondrakete“. Das wuchs sich in der Pubertät wieder raus. Dafür sprossen bei mir früher als bei anderen die „Maulwurfshügel“. Ja, ich habe sie tatsächlich so genannt, eine Freundin von damals amüsiert das noch heute. Not very much amused war ich über dieses eifrige Wachsen. Die Mädchen – und die Buben – in meiner Klasse machten darüber sehr abfällige Bemerkungen. Mit 11 habe ich mich in ein altes Kinder Satin-Hemdchen gequetscht, welches so eng anlag, dass ich kaum noch Luft bekam. Aber die unliebsamen Hügel wurden dabei fest gegen meine Rippen gepresst und verteilten sich wunderbar flach an meiner Brust. Für einen Tag konnte ich wieder gerade stehen und ungeniert meine Arme in die Höhe strecken. Doch schon am nächsten Tag war das Hemdchen ausgebeult, mein kleiner Trick funktionierte nicht mehr.
Meinen Busen versteckte ich stets hinter wallenden Gewändern. Meine Mutter hat immer gesagt, hoffentlich wird das bei dir nicht so werden wie bei mir. Nach jedem Kind benötigte sie einen größeren BH. Gut, ich habe keine Kinder bekommen. Was die Dinger leider nicht am Weiterwachsen gehindert hat. Mit jedem Extra-Kilo. Bis heute.
Mit 20 war meine Figur noch ganz passabel. Gut, das sage ich jetzt, wenn ich alte Fotos betrachte. Doch damals war alles vom Rumpf abwärts einer mittleren Katastrophe gleich. In meiner Clique hatte keins der anderen Mädels diesen „Reiterhosenspeck“ an den Oberschenkeln. „Deine Freundin hat aber einen fetten Arsch“ hat ein Typ meinem Damaligen einmal zugeraunt.
Jahre später – ich war Ende 30 – gab es einen Freund, der sich darüber mehr als verbog, weil seine Trinkkumpanen in der Kneipe grölten, wo er denn seine „Angefütterte“ gelassen hat! Er, selbst ein ziemlicher Komplexpfosten, weil er mit seiner Körpergröße von 1.63 nicht zufrieden war, hat mich nicht etwa verteidigt. Es kränkte sein Ego, dass er keine grazile, tiptop gestylte Lady an seiner Seite vorzuweisen hatte. Ich hatte nicht die Ausmaße einer Tonne, das nicht. Aber bei solchen Spezialansprüchen, welche Männer so haben, fühlt man sich ganz schnell wie eine.
Richtig gute Freunde sind wir noch immer nicht geworden, mein Körper und ich. Der Kampf in meinem Inneren tobt weiter. Siehe Morbus Hashimoto. Zumindest habe ich einen Waffenstillstand angeboten.
© Anatolie 2021-04-26