von Aroundtheworld
Ich war in der 4. Klasse, als meine Lehrerin feststellte, dass ich Schwierigkeit mit dem Lesen und Schreiben hatte. Zum ersten Mal seit dem Bestehen unserer Schule sollte an unserer Schule ein Test für Legasthenie abgehalten werden. Es handelte sich nicht um einen Text in dem man schreiben und lesen sollte, sondern um Fragen, die zeigen sollten, wie das Gehirn arbeitet. Ich war ein Kind und hatte irrsinnig viel Spaß an dem Test, weil er so einfach war. Doch einfach war das Ergebnis dann nicht. Die erste Legasthenikerin in unserer Schule forderte von meinen Lehrern und von meiner Mutter viel Einsatz, Forschung, Zeit und Nerven.
Während meine Klassenkameraden anfingen mich zu hänseln, erklärte meine Mutter mir geduldig immer wieder, was sie auf den Abendseminaren erfahren hatte und übte jeden Tag mit mir. Zu meinem Glück waren viele Dinge Übungen die Bewegungen mit 8ten.
In der Grundschule durfte ich keine Diktate mehr mitschreiben, sondern bekam den Text und musste ihn nachmalen. So lerne ich schon früh, wie Wörter aussehen müssen. Meine Leidenschaft für Bücher führte zu demselben Ergebnis. Das Lesetempo konnte ich auch etwas steigern.
Per Zufall entdeckten meine Mutter und ich bei einem Arztbesuch, dass es mir leichter fiel, Texte zu lesen, wenn sie spiegelverkehrt waren. Auch das Schreiben fiel mir so leichter. Damit wusste meine Mutter auch, welche Übungen ich weiter machen musste, um die Verknüpfungen meiner rechten und linken Gehirnhälfte herzustellen.
Trotz meiner Legasthenie schaffte ich es auf das Gymnasium. Zu meinem Glück gab es hier einen Lehrer, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Schülern mit Legasthenie zu helfen. Einmal in der Woche hieß es daher eine Extrastunde Unterricht. Hauptsächlich durften wir am Computer sitzen und mussten Wörter, die wir sahen, abtippen. Es gab verschiedene Level wie bei einem Computerspiel. Die Wörter wurden schwieriger und nach dem ersten Level wurde das Wort ausgeblendet, bevor man es tippen konnte. Es gab für die einzelnen Level Punkte, so dass zwischen den anderen Kindern und mir ein Wettbewerb entstand, der uns Spaß machte. In der 7ten Klasse schaffte ich dann sogar das beste Diktat der Klasse.
Noch immer begleitet mich die Legasthenie und wird es auch den Rest meines Lebens tun. Auch wenn moderne Technik wie Rechtschreibprüfung das Leben erleichtert, wird die Legasthenie immer da sein und ich werde jeden Tag, an dem ich etwas schreibe, daran erinnert. Ich werde aber auch daran erinnert, wie viel ich in meinem Leben trotz Legasthenie erreicht habe. Ich möchte allen Betroffenen zurufen: Legasthenie ist nur einer von vielen Stolpersteinen im Leben, den ihr überwinden könnt.
Es gehört viel Fleiß dazu, aber man kann das Ziel, das man sich gesetzt hat, erreichen.
© Aroundtheworld 2021-03-11