von PETRA KURZ
Im Autoradio spielte ein bekannter italienischer Song und wir trällerten lautstark mit. Nicht das einer von uns Italienisch konnte, aber es machte uns Spaß so zu tun als ob und die Melodien einfach auf uns wirken zu lassen. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich wie schon sehr lange nicht mehr. Wir hatten uns alle bereits auf diesen Kurztrip nach Lignano gefreut und wollten uns mit alten Freunden, wie jedes Jahr zu dieser Zeit, treffen. Ein paar Tage Sonne tanken, gutes Essen genießen und unzählige Spiele spielen. Diese Leidenschaft teilten wir alle gleichermaßen.
Schon von Weitem bemerkten wir einen Stau vor der ersten Mautstation. Nach und nach türmten sich die Autos zu einer großen Blechlawine. Es gab keinen Ausweg, keine andere Möglichkeit abzufahren oder umzukehren. So blieben wir einfach in der Autoschlange stehen und hofften auf ein Wunder. Zaghaft bewegten sich die Autos um uns herum immer wieder eine Autolänge nach vorne. Wir standen in der äußersten rechten Schlange. Neben uns lag eine Ausfahrt zu einer Raststation. Trotz der bevorstehenden langen Wartezeit ließen wir uns unsere gutgelaunte Stimmung nicht verderben und sangen weitere Lieder, die das Radio spielte. Erst einen Tag zuvor hatte ich einen neuen Song aufgenommen und wollte diesen mit meinen Lieben teilen. Es war mein erster Song. Noch nie zuvor hatte ich mich über so eine Herausforderung getraut, aber dieses Mal sprang ich über meinen Schatten, schrieb einen Text zu einer Melodie die tief in meinen Gedanken verankert lag und nahm mich selber dabei auf. Ich war so aufgeregt und schüchtern zugleich. Ich fragte mich wie sie darüber denken würden. Würden sie mich auslachen oder würde es ihnen sogar gefallen? Zaghaft drehte ich die Lautstärke hinunter und tippte aufgeregt auf meinem Handy. „Ich möchte euch etwas vorspielen!“, rief ich ihnen zu. Nervös zappelte ich auf meinem Sitz hin und her und verriet ihnen mein kleines Geheimnis. „Ich habe einen Song geschrieben und diesen möchte ich euch gerne vorspielen!“
Mit weit aufgerissenen Augen sah mich mein Mann wie in Trance an. Ich konnte seinen Blick nicht richtig deuten. War es eine Art Bewunderung oder doch eher ein Schmunzeln? Er war bereits vieles von mir gewöhnt, da ich ihn immer wieder mit neuen Einfällen, skurrilen Ideen und abstrakten Taten überraschte. Aber dieser Gesichtsausdruck war mir fremd. Was wollte er mir in diesem Augenblick sagen? Wie in Zeitlupe berührte mein Finger die Wiedergabetaste auf meinem Handy und dann passierte alles ganz schnell. Völlig unerwartet raste ein voll beladener Lastwagen ohne zu bremsen direkt auf unser Auto zu und rammte mit voller Geschwindigkeit meine Seite. Dieser Aufprall riss mir mein Handy aus der Hand. Ein explosionsartiger Knall ertönte. Verbeulte Autoteile flogen durch die Luft. Laute, verängstigte Schreie hallten in der Ferne. Autos überschlugen sich wie Spielzeugautos und waren kaum noch wiederzuerkennen. Mein Mann und meine Tochter hatten mehr Glück als ich und blieben größtenteils verschont. Ich lief zur Unfallstelle und sah meinen eigenen regungslosen, blutüberströmten und eingequetschten Körper im Autowrack liegen. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich den Italienurlaub nicht mehr miterleben würde.
© PETRA KURZ 2023-05-16