Mein liebes Ernamädchen

Christine_Bernstein

von Christine_Bernstein

Story

Der zweite Brief – 27.12.1946

Abs. Irmgard Dannehl, Haldensleben Hafenstraße 25

An Frl. Erna, Aalberg – Dänemark

Mein liebes Ernamädchen!

Zu meiner großen Freude erhielt ich Dein so liebes Brieflein vom 29. November. Ich danke recht herzlich für Deine Zeilen und werde dieselben noch heute beantworten. – Ja, da schreibst Du „das Weihnachtsfest liegt vor uns“, und so ist es doch schon wieder vorüber. Na, da haben wir ja schon den dritten Feiertag; Du weißt ja, in Ostpreußen haben wir ihn gebührend gefeiert. Ach, überhaupt Ostpreußen! Hatten wir nicht im Winter bald jeden Tag einen Feiertag? – Ich danke dir, meine Erna, recht erfreulich für das Heimatlied. Der Dichter hat es wahr geschrieben. Hoffen wir auf das Beste; sehen wir einst unsere geliebte Heimat wieder?

All‘ die geliebten Stätten begrüßen und den köstlichen, fruchtbaren Duft unserer Erde einatmen. So liegt es doch in Gottes Hand. Wir Menschen wandeln halt einen langen, steinigen Weg auf Erden, der unumgänglich ist. So leicht wird uns nichts geschenkt und das Glück lässt sich nicht zwingen. Aber wir tragen ja gemeinsam das Los! Verhängnisvoll ist es, wenn ein Mensch allein die Not und die Sorgen trägt und allmählich erbittert und sich in sich verschließt. Miteinander wandert es sich leichter und die Plagen des Lebens sind besser zu ertragen. Das Leben ist ein Kreislauf; es ist mit einer Uhr zu vergleichen, die uns stets gewissenhaft unsere Stunde anzeigt. Die guten und die bösen Stunden! Nur wie diese Uhr läuft, ist unsere Sache.

Wir dürfen nie verzagen und immer guten Mutes sein, so wird das Schlagwerk unserer Lebensmühle stets gleichmäßig sein. Die Hoffnung möge uns nie verlassen und selbst wenn das letzte Stündlein kommt, hoffen wir auf ein Wiedersehen und ein besseres Leben dort oben. Das Christfest haben wir angenehm verlebt, abends ein Kerzlein angezündet und all die Bilder aus der Heimat in Gedanken an uns vorüber- ziehen lassen. Und einer fragte den andern: „Weißt Du noch?“

Einen großen Teil Arbeit habe ich in der Vorweihnachtszeit geschafft. Oft hatte ich verzagen wollen und doch ist es gelungen. Meine Chefin war zufrieden mit mir und hat mich mit ein paar reizenden Geschenken erfreut. Einen bildhübschen, handgemalten Krug und zwei willkommene Bücher. Auch meine Mutter hat mich lieb bedacht. Ach, mein liebes Mütterlein hat ja so fleißig bei meiner Arbeit geholfen. Meine liebe Erna, ich wünsche, dass Dir am Christfest ein helles Lichtlein geleuchtet hat. Aus weiter Ferne reiche ich Dir mein echtes, treues Freundschaftsband: Ich grüße Dich recht herzlich: auf ein hoffnungsvolles Wiedersehen, immer Deine Freundin Irmgard.

Recht herzliche Grüße an Maria und die Kleinen. Viele liebe Grüße von meinem Mütterlein. Ein gesundes, von Gott begnadetes neues Jahr, dass alle Eure lauten und leisen Wünsche sich erfüllen, wünscht Euch Irmgard nebst Mutter!

© Christine Brandt 2022-08-09

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