„Wo wohnst du? In Transdanubien? Na, net amal geschenkt würde ich dort leben wollen.“ Das Leben an der Alten Donau war in meiner Kindheit in den 60er Jahren die Idylle pur. Das Kaiserwasser fror im Winter noch so fest zu, dass man es gemütlich, vom Papa in der Rodel geschoben oder später selbstständig mit den Eislaufschuhen, befahren konnte. Es gab eine Greißlerin, zu der mich meine Mutter um Milch und Brot schickte. Obwohl ich wusste, dass sie mich wieder schimpfen würde, musste ich am Nachhauseweg doch jedes Mal in die frische Kruste des Weckenscherzls beißen. Das „Brettldorf“, wo der ärmere Teil der Bevölkerung Holzhütten errichten und Erdäpfel und Gemüse anbauen durfte, gab es schon lange nicht mehr. Auf diesem Areal entstand der Donaupark mit dem Donauturm und hier fand 1964 die Wiener Internationale Gartenschau, die WIG, statt, mit ihren wunderschönen Blumenanlagen, Spazierwegen und einem Doppelsessellift, mit dem man über das Gelände schweben konnte. Hier stand auch die Donauparkhalle, in der ich mit einem professionellen Lehrer erfolglos Eislaufen gelernt hatte, weswegen meine Mutter eine andere Freizeitbeschäftigung ersann – wenn schon keine Eisprinzessin, dann vielleicht eine Konzertpianistin?
„Du fährst heute in die Stadt, also zieh dich gescheit an“, hörte ich meine Mutter jeden Dienstag sagen, bevor mich meine Oma abholte, um mit mir in den 2. Bezirk zum Klavierunterricht zu fahren. Die Straßenbahnlinie B verband damals Kaisermühlen, über die Schüttaustraße und Reichsbrücke, mit dem 1. und 2. Bezirk. Endstation hatte diese Tram im Jahr 1981. Ein Jahr später war die U1 bis Kaisermühlen/Vienna International Center fertiggestellt, die Donauparkhalle war abgetragen, da das Areal wegen der ehemaligen Mülldeponie nicht stabil genug war. Der Lebensrhythmus begann sich zu beschleunigen.
Das Rote Wien arbeitete unermüdlich am sozialen Wohnbau weiter. Toiletten am Gang und Wasser aus der Bassena verschwanden langsam aus dem Alltag. Von 1958 bis 1960 wurden die ersten drei Wohn-Hochhäuser, der „Marshallhof“, gebaut. Auf elf Stockwerken wurde jede Wohnung mit zwei Zimmern und Küche ausgestattet. Dies nahm die Stadtregierung zum Anlass, Queen Elisabeth II bei ihrem Staatsbesuch in Österreich eine Wohnung auf Stiege 1, 11. Stock, Tür 67 zu zeigen und den modernen kommunalen Wohnbau von ihr segnen zu lassen. In den Annalen schreibt man den 7.6.1969 – sieben Jahre bevor es zum Einsturz der Reichsbrücke kam und ich fern von der Heimat von einem Sprachcamp in England aus, das Unfassbare mitbekommen sollte. Damals jedenfalls war die gesamte Schüttaustraße von Menschen gesäumt, die den Konvoi der Staatskarossen mit geschwenkten Fähnchen begrüßten. An der Hand meiner Oma spürte ich ihre Aufregung, ein so außergewöhnliches Spektakel erleben zu können.
Das Leben auf der Insel war beschaulich, einfach, ruhig, fast ländlich. Vor dem „Löwa“ oder „Billa“ war das Bild der in Hausschürzen gekleideten, mit einem Tuch die Lockenwickler verdeckenden, plaudernden Frauen selbstverständlich, genauso wie Picknicken auf der Lagerwiese am Kaiserwasser, Bootfahren, Schwäne füttern.
© Brigitte Ammer-Weis 2025-05-06