Mein persönlicher Kaisermühlen Blues Teil III

Brigitte Ammer-Weis

von Brigitte Ammer-Weis

Story

Heute ist von den Einschüssen in den Februarkämpfen 1934 auf der Stiege 38 nichts mehr zu sehen, ebenso wenig wie Trichter und weitere Bombentreffer an anderen Häusern. Genauso verschwunden sind die roten Fähnchen – mit oder ohne drei Pfeile -, die zum 1. Mai an jedem Fenster links und rechts davon ausgehängt wurden, einzig die Halterungen dafür existieren noch. Zu nachtschlafender Zeit wurde vom Schüttauplatz ausgehend bis zum Rathaus der Maiaufmarsch gestartet. An diesem Tag gab es einen Kirtag am Kirchenplatz mit Ringelspiel und Zuckerwatte naschen bis der Bauch weh tat.

Der Goethehof hat viele weitere Geheimnisse zu bieten. So waren etwa die Räumlichkeiten in der Schüttaustraße 1 eine ehemalige Tuberkulose-Fürsorgestelle, die nach dem Zweiten Weltkrieg als KPÖ-Parteilokal genutzt wurden und heute vom „Werkl im Goethehof“. Diese Kulturinitiative basiert auf den Säulen einer Rassismus- und konsumzwangfreien Zone, auf basissolidarischer Zusammenarbeit und emanzipatorischer Grundhaltung. Genau in diesem Lokal durfte ich nach vielen Jahren wieder mit meiner, schon lange verstorbenen, Großtante konfrontiert werden. Im März 2017 präsentierte das „Werkl“ einen Film- und Diskussionsabend von Frauen im Widerstand. Mit dem Titel „Tränen statt Gewehre“ war meine Großtante, Anna Haider, damals eine junge Textilarbeiterin und politische Aktivistin eine der starken Frauen, die als Schutzbündlerin in den Februartagen 1934 mit Maschinengewehr bewaffnet, gegen die faschistische Heimwehr gekämpft hatte. In einem Archivfilm erzählte sie von der Zeit, als immer klarer wurde, dass der Kampf verloren war und der Faschismus begann. Sie wurde von der Polizei gesucht, war verletzt und versteckte sich im damaligen Überschwemmungsgebiet. Genau von Menschen des angrenzenden „Brettldorfs“ wurde ihr Hilfe angeboten. Wegen Hochverrats angeklagt, landete sie im Wiener Oberlandesgericht und wurde 1945 befreit. Ich war etwa 14 Jahre alt, als mir meine Großtante von ihren unfassbaren Erlebnissen erzählte und ich sie bat, einen Teil ihrer Lebensgeschichte mitschreiben zu dürfen.

Hier, wo mittlerweile Gemeindewohnungen an die nächste Generation weitergegeben werden, wo Miet- oder Eigentumswohnungen nicht mehr zu erstehen, geschweige denn leistbar sind, weil die Gegend so attraktiv wurde, wo die Kleingartenhäuser mit ihren dazugehörigen Stegen an der Alten Donau im Frühjahr wieder zum Leben erwachen, erzähle ich Freunden gerne bei einem Spaziergang die Geschichten, so wie ich sie erlebt und von Großtanten, Oma und Mutter erzählt bekommen habe, genieße das Leben rund ums Wasser, wie auch die obligatorische Pferdeleberkäsesemmel vom „Gigerer“, dessen Standort seit Jahrzehnten noch immer derselbe ist. „Vieles hat sich verändert, aber Kaisermühlen hat sich die Entschleunigung bewahrt, darum zieht auch niemand mehr von hier weg“, sagte mir dort letztens eine Stammkundin. Wer hätte sich das vor ein paar Jahrzehnten, „net amal geschenkt“, gedacht?



© Brigitte Ammer-Weis 2025-05-06

Genres
Biografien
Stimmung
Emotional, Informativ, Inspirierend, Reflektierend