von Christina Glück
Es ist April 2020. Meine Mutter fragte mich am Telefon, wie es mir nun so erginge, quasi eingesperrt in der Wohnung. Kaum war die Frage ausgesprochen, mussten wir beide schmunzeln. Denn Mama kennt mich. Ich leide zuweilen an depressiven Episoden und einer lähmenden Energielosigkeit. Phasen der freiwilligen Isolierung in den eigenen vier Wänden sind mir bestens vertraut, ja sogar erwünscht. Quarantäne ist kein Wort, das mir den Angstschweiss auf die Stirn treibt. Endlich kann ich guten Gewissens zu Hause bleiben, muss keine Ausreden gebrauchen, wenn ich mich nicht treffen mag. „Geh‘, so schön is draußen, raff dich auf, raus mit dir!“ Appelle wie diese waren in der Lockdown-Phase nicht zu hören. Wie angenehm!
Corona vermag Zerstreuungsversuchen und Ablenkungsmanöver, die wir uns in unserer zivilisierten Gesellschaft geschaffen haben, zu trotzen: Theaterbesuche, Essen mit Freunden, Kaffeeklatsch mit Kollegen, Smalltalks bei Cocktails und Chillout-Musik, Kauf der längst fälligen neuen Ohrringe … abgesagt. Dafür kommen wir endlich dazu, Regale zu schlichten, Dokumente zu ordnen und Bücher fertig zu lesen.
Aber ja, mit voller Hose ist leicht stinken. Angesichts der bedrohten Existenzen, des Leides und der Ängste vieler Betroffener, gehörte und gehöre ich zu den „Privilegierten“ der Corona-Krise, deren Existenz nicht unmittelbar bedroht ist. Alleinstehend, arbeitslos aber finanziell abgesichert, ist es mir möglich, dieses Virus und was es mit der Welt anstellt, wie durch ein Schlüsselloch zu beobachten. Seine Wirkung auf mich ist beklemmend und faszinierend zugleich.
Ich gebe es zu, sie haben mich schon sehr bewegt, die Bilder der sich tummelnden Delfine vor Triest, der Anblick des klaren Canal grande, der tägliche 18h-Applaus, das Ertönen von „I am from Austria“ aus den Polizeilautsprechern oder die Aushänge im Lift mit Hilfsangeboten.
Auf der anderen Seite erschüttert es mich bis jetzt, wie Corona-Patienten und Patientinnen von uns gehen müssen… ein Sterben ohne Abschied. Vermummte Astronauten im Ganzkörperanzug als letzte Wegbegleiter.
Endlich zur Ruhe kommen… und doch, irgendwann waren die Fenster geputzt, die Bücher gelesen, Regale geschlichtet und Dokumente sortiert… aber die Geschäfte hatten immer noch zu, Kaffeehäuser noch immer geschlossen, und meine krebskranke Mutter durfte ich immer noch nicht besuchen.
Ich kam und komme zum pathetischen Schluss: Corona wirft uns auf uns selbst zurück. Corona entschleunigt, Corona könnte schaffen, was Greta & Konsorten nicht zuwege brachten: eine Neuordnung der Gesellschaft. Wie sehr sich Corona in das kollektive Gedächtnis einbrennen wird, wird sich freilich erst zeigen. Hat Corona das Zeug, unsere Welt nachhaltig zu verändern?
Ich weiß es nicht. Aber ich will mich trotzig dieser romantischen Vorstellung hingeben.
© Christina Glück 2020-09-29