Mein Umgang mit Verlusten.

Nicole Liedmann

von Nicole Liedmann

Story

Ein Symptom der Borderline-Störung kann die extreme Angst vor Verlusten sein. Es gibt Betroffene, die versuchen, geglaubte oder tatsächlich stattfindende Verluste mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter KANN dies auch dazu führen, dass Betroffene anfangen UNTERBEWUSST zu manipulieren, damit die Menschen bei ihnen bleiben. Ich schreibe „kann“ und „unterbewusst“ extra groß, weil es immer noch Menschen gibt, die davon überzeugt sind, dass alle Borderliner:innen böse und manipulativ sind. Die manipulativen Eigenschaften treffen aber eben nicht auf alle mit dieser Krankheit zu und wenn sie zutreffen, dann ist es eben in den meisten Fällen keine bewusste Entscheidung, sondern ein Krankheitssymptom. Bei mir äußert sich diese Verlustangst z.B. in einem anderen Rahmen. Wenn ich merke, dass eine andere Person z.B. weniger Interesse an mir zeigt oder auch offen sagt, dass sie nicht weiß, ob sie den Kontakt halten möchte oder den Kontakt auf jeden Fall abbrechen möchte, dann mache ich das viel mit mir selber aus. Ich denke sowieso zu 99% der Zeit, dass mich niemand mag und die Leute in meinem Umfeld, die regelmäßig Zeit mit mir verbringen, mich anlügen, um mich nicht zu verletzen und mich eigentlich schon längst verlassen hätten. Und wenn es dann eben zu einem Verlust kommt, dann gebe ich mir selber die Schuld, versuche Begründungen zu finden, wieso diese Menschen mich verlassen haben, wobei eben nie die Anderen schuld sind, sondern immer ich und wünsche den Leuten Alles erdenklich Gute. Ich werte mich selber so sehr ab und nehme diesen Menschen seltenst etwas übel. Ein gutes Beispiel ist da meine ehemalige beste Freundin. Wir waren die dicksten Freunde auf der Welt und ich hatte sie so unfassbar lieb. Wir lernten uns 2013 im Gymnasium kennen und waren eigentlich von Anfang an unzertrennlich. Ich wechselte aufgrund von schlechten Leistungen dann auf die Realschule und auch das überstand unsere Freundschaft. Meine beste Freundin wohnte damals noch bei ihrer Pflegeoma, die eine echt schlimme Frau war. Dann kam sie irgendwann zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter, weil sie es nicht mehr aushielt. Dort wurde es allerdings auch nicht besser. In all der Zeit, erst bei ihrer Pflegeoma, dann bei ihrem Vater und dessen neuer Frau, unterstützte ich sie, war für sie da und baute sie auf. Wir gingen gemeinsam durch die ganzen Höhen und Tiefen. Dann kam sie irgendwann nach einem großen Knall zu ihrer Mutter und dem neuen Mann. Dort lief alles anders. Sie war ein Teil der Familie. Ihre Meinung war wichtig und sie wurde mit einbezogen. Es ging auch mal um sie. Zu der Zeit fingen auch die Symptome meiner Erkrankung schleichend an. Da bemerkte ich zunehmend, dass sie sich immer weiter von mir distanzierte und unsere Freundschaft anfing zu bröckeln. Dies war eine sehr schmerzhafte Erfahrung, denn ich mochte sie wirklich sehr gern. Bis heute denke ich, dass sie mich in einer schweren Zeit verlassen hat, während ich in ihrer schwersten Zeit immer für sie da war. Und obwohl ich so denke, bin ich einfach nicht sauer auf sie. Weil ich sie versuche zu verteidigen. Sie kommt mit meiner Erkrankung nicht klar. Sie hat nun einfach andere Vorstellungen vom Leben. Nie habe ich sie verantwortlich gemacht, obwohl Andere dies vielleicht tun würden. Dafür mag ich sie immer noch zu sehr. Das meine ich eben damit, dass jede:r Borderliner:in anders mit Verlust oder Verlustängsten umgeht.

© Nicole Liedmann 2024-08-11

Genres
Biografien