Mein unaufgeräumter Garten

Waltraud Jan

von Waltraud Jan

Story

Jedesmal, wenn ich von einer Einkaufstour in mein Dorf zurückkehre, muss ich die letzten beiden Kilometer von der Bushaltestelle weg zu Fuß zurücklegen. Ich gehe, den Rucksack am Rücken die Straße entlang. Links und rechts sind wunderschöne Häuser zu sehen und die Gärten, in denen sie stehen, wirken höchst gepflegt, aufgeräumt und gestylt. Das Gras hat allerhöchstens 2 cm Länge und meist gibt es in der Mitte des Rasens ein gemauertes Viereck oder einen Kreis, in dem ein paar Pflanzen oder ein Busch wachsen. Für mich sehen diese Gärten aus wie überdimensionale Gräber, was sie im Grunde ja auch sind. Wie sollen sich in einem derartig gras- und pflanzenarmen Raum Insekten, Vögel oder sonstige Kleintiere wohlfühlen? Ich habe ja den Verdacht, dass die Menschen, denen diese sterilen Gärten gehören, genau das bezwecken: dass sich nämlich bloß keine tierischen oder pflanzlichen Lebewesen in die so reinen und aufgeräumten Gärten verirren.

Nun ja, meinen Garten würden die Gräbergarten-Besitzer höchstwahrscheinlich als Schandfleck bezeichnen. Er ist nämlich all das, was der ihrige nicht ist. Mein Garten ist unaufgeräumt, wild und überall wuchert und blüht es, dass es eine Freude ist. Jedes Frühjahr bringt Überraschungen, weil wieder irgendwelche neuen Samen ihr Zuhause in meinem chaotischen Grünland gefunden haben. Nebst den pflanzlichen Mitbewohnern gibt es auch reichlich Vertreter der Tierwelt, die sich hier wohlfühlen: Insekten und Vögel aller Art fliegen, summen und singen. Auch Kröten haben unter großen Steinen ihr Zuhause gefunden. Die Baby-Kröten kommen auf ihren Erkundungstouren bis an meine Haustür – Vorsicht ist geboten, da sie nicht größer als ein Daumennagel sind. An regnerischen Tagen wagen sich auch Feuersalamander aus ihrem Versteck. 2 Eichhörnchen leben ebenfalls hier, sie teilen sich mit mir die Früchte meiner beiden Nussbäume. Sämtliche Katzen der Nachbarschaft streifen durch meinen Garten, als ob er ihnen gehörte und ab und zu gibt es fürchterliche Revierkämpfe. So idyllisch und paradiesisch dies auch klingen mag, natürlich gibt es auch Tiere, denen ich am liebsten den Garaus machen würde. Nacktschnecken, die nach dem 10. Salatkopf noch immer nicht genug haben und jedes Pflänzchen, das ich in die Erde setze, am nächsten Tag verschlungen haben. Das führt schon auch mal zu Frustration, jedoch überwiegen eindeutig die Vorteile eines Gartens. In den Sommern der heutigen Zeit, die teilweise unerträglich heiß sind, gibt es für mich nichts Besseres, als unter dem Blätterdach des Nussbaums zu liegen. Ich höre dem Rauschen des Windes und dem Gesumme und Gezwitscher der Bienen und Vögel zu und verspüre so etwas wie Mitleid mit den Menschen mit ihren gestylten aufgeräumten Grünflächen. Außer das dezente Brummen des Rasen-Roboters kann dort nicht viel zu hören sein, dafür haben die Besitzer der Gräber-Gärten gründlich gesorgt. Was für ein Jammer!

© Waltraud Jan 2021-04-25